: Flug gecancelt
Cannes Cannes (I): Na super, die Filmfestspiele an der Côte d’Azur fangen ja toll an! Mit einem Streiktag
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will! Also sprachen die französischen Gewerkschaften und riefen einen Streiktag aus. Auf den Bahnhöfen, in den Schulen und auf den Postämtern ging nichts. Glücklich waren die Filmschaffenden und -kritiker, die ihre Ankunft in Cannes für Montag vorgesehen hatten. Denn gestern steuerte die Lufthansa Nizza, den nächstgelegenen Flughafen, nicht an.
„Ihr Flug ist leider gecancelt“, sagte erwartungsgemäß Frau R., nachdem ich am späten Montagnachmittag die Servicetelefonnummer der Lufthansa gewählt hatte. Frau R. hatte die süße Stimme der jungen Frauen, die in Callcentern arbeiten und es nicht wagen, von einer komfortablen Festanstellung mit 38,5-Stunden-Woche, geregelten Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch und Zusatzrentenversicherung zu träumen. Nach Turin durfte sie meinen Flug nicht umbuchen, und was hätte das auch geholfen, die Zugführer streikten schließlich genauso wie die Fluglotsen. „Mittwochabend, 19.15 Uhr ab Tegel, via Frankfurt, Ankunft in Nizza um 23.25 Uhr“, bot mir Frau R. an, „ein früherer Zeitpunkt ist in Ihrer Buchungsklasse leider nicht möglich.“ Als ich einen Augenblick überlegte, wie ich kurz vor Mitternacht von Nizza nach Cannes käme, ohne dass die Taxiquittung den Redaktionsetat sprengte, säuselte sie: „Frau Nord, soll ich nun buchen? Sie klingen so zögerlich!“
Sie buchte, und ich rief N. an, um ihm mein Leid zu klagen. „Verdammte Gewerkschaften, die machen das doch absichtlich an dem Tag, bevor die Filmfestspiele beginnen!“ N. widersprach: Woher rühre der Fortschritt im Arbeitsrecht, wenn nicht vom unermüdlichen Engagement der Gewerkschaften? Halb aus Überzeugung, halb als Advocatus Diaboli entgegnete ich: „Und was ist mit dem Anspruch, für die Entrechteten und Geknechteten zu sprechen, wenn es in Wirklichkeit um Interessenvertretung und Besitzstandswahrung geht?“ In einem Film von Ken Loach, fiel mir dann ein, stünde ich auf der falschen Seite.
Möglicherweise ist es nicht schlimm, den Eröffnungsabend der 56. Filmfestspiele von Cannes zu versäumen. Denn ausgerechnet ein Historienfilm, „Fanfan la Tulipe“, wird präsentiert. Darin schließt sich ein junger Hasardeur (Vincent Perez) den Truppen Louis’ XV. an, um einer arrangierten Hochzeit zu entkommen. Der Regisseur, Gérard Krawczyk, liefert mit dem Kutschenspektakel das dritte Remake des Originals aus dem Jahre 1906. Das Drehbuch stammt von Jean Cosmos und dem unvermeidlichen Luc Besson, der zuletzt als Autor von „The Transporter“ Schlimmes anrichtete. Immerhin wird die hübsche Hauptmannstochter Adeline von Penélope Cruz gespielt, der jungen spanischen Schauspielerin, die in Almodóvars Filmen schwangere Nonnen und Huren gab, bevor sie sich die Nase verkleinern und die Frau an Tom Cruise’ Seite werden sollte. Ob Cruz den Eröffnungsabend im Grand Théâtre Lumière retten kann? CRISTINA NORD