Vermieter entdecken soziales Gewissen

Der Essener Immobilienriese Viterra erklärt sich auf Druck von Mieterverbänden und Politik dazu bereit, über Sozialklauseln für die Mieter von 27.000 verkauften Wohnungen verhandeln. Konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht

RUHR taz ■ Die Mieter der ehemaligen Viterra-Wohnungen im Ruhrgebiet können hoffen. Entgegen früherer Ankündigungen erklärt sich die Essener Immobilienfirma dazu bereit, über Schutzklauseln für die Mieter von über 27.000 Wohnungen zu verhandeln, die Viterra zum Jahresende an verschiedene Investoren verkauft hatte. Das Einlenken des Unternehmens, dass noch vor einem Monat Gespräche über „irgendwelche Sozialklauseln“ abgelehnt hatte, ist Ergebnis eines Treffens der Viterra-Bevollmächtigten mit Vertretern der Stadt Gelsenkirchen, des Landesministeriums für Städtebau und Wohnen und des Deutschen Mieterbundes.

„Es ist ein Fortschritt, dass Viterra jetzt mit uns an einen Tisch sitzt“, sagt Susanne Düwel, Pressesprecherin des Städtebauministeriums. Nun gelte es, ein „strukturiertes Verfahren“ zu entwickeln, mit denen die Handlungen Neueigentümer auf ihre Sozialverträglichkeit geprüft werden können. Denkbar sei die Gründung eines gemeinsamen Gremiums von Stadt, Mieterbund und Eigentümer, das in Streitfällen entscheidet.

Was der Verkauf der Viterra-Immoblilien für die Mieter bedeutet, zeigt das Beispiel von 350 Wohnungen, die mittlerweile der Immobilienfirma Häusser-Bau gehören. „Die Mieter sollen hier rausgemobbt werden“, sagt Marion Strohmeier von der Bürgerinitiative „Viterra-Mieter.“ Nur wenn die meist älteren Mieter aus den Bergarbeiterwohnungen verschwunden wären, könnten die neuen Investoren die Immobilien gewinnbringend weiterverkaufen. Strohmeier berichtet von gezielter Panikmache durch die neuen Eigentümer: „Busseweise werden angebliche Interessenten herangekarrt, die dann durch die Wohnungen marschieren“, sagt sie. In anderen Fällen sei Mietern erklärt worden, sie müssten trotz Mietvertrag innerhalb der nächsten neun Monate ausziehen.

Diese Praktiken sollen durch die Gelsenkirchener Gespräche jetzt beendet werden: Mieterbund, Stadt und das Düsseldorfer Ministerium wollen in den Sozialklauseln festschreiben, dass unangemeldete Besichtigungen künftig verboten werden. Auch sollen die Mieter einen besseren Kündigungsschutz bekommen und Luxusmodernisierungen verboten werden, die die Wohnungen für die Bewohner unbezahlbar machen. „Eine Optimallösung für alle kann es sicher nicht geben“, sagt Gelsenkirchens Stadtkämmerer Rainer Kampmann, „aber Hauptsache ist, dass Mietern keine Angst mehr gemacht wird.“ Sollte die Gelsenkirchener Einigung gelingen, wäre ein Präzedenzfall für die übrigen 27.000 Viterra-Wohnungen im Ruhrgebiet geschaffen.

Doch zunächst müssen die Mieter untereinander klären, wer für ihre Belange eintreten soll. Die Bürgerinitiative, nicht zu den Gesprächen mit Viterra eingeladen, will sich per einstweiliger Verfügung einen Platz am Verhandlungstisch erstreiten – an Stelle des Mietervereins, von dem sie sich nicht repräsentiert fühlt. Doch Mietervereins-Chef Tiefenbacher befürchtet, dass ein direktes Aufeinandertreffen von Eigentümern und Mietern das zarte Pflänzchen der Verständigung zerstören würde: „Dann packen die Herren von Viterra ihre Aktentaschen und gehen.“ KLAUS JANSEN