: Tritt ans Schienbein
Mit „State of Play“ will die Serpentine Gallery in London eine Bestandsaufnahme der Kunst im Zeitalter ihrer totalen Befreiung von kritischen Maßstäben liefern – doch anstößig ist sie nur zu Beginn, der Rest ist Fairplay
Nichts ist heute mehr umsonst. Nicht einmal der vermeintlich kostenlose Besuch der Serpentine Gallery in den Londoner Kensington Gardens. Denn wer dieser Tage die noblen Galerieräume des ehemaligen Teepavillons betritt, bezahlt allzu unbändige Schaulust prompt mit einer Verletzung am Schienbein.
Der britische Künstler und Turnerpreisträger Martin Creed hat seinen Beitrag zur hier derzeit gezeigten Ausstellung „State of Play“ direkt hinter der Eingangstür platziert. Die zwölf steinernen, kniehoch übereinander gestapelten Fliesen, die „Work Nr. 100“ ausmachen, entsprechen formal wie auch farblich exakt denen des Galeriebodens, was der Arbeit einen extrem beiläufigen Charakter verleiht, als solle man ihr bloß nicht allzu große Aufmerksamkeit schenken. Doch tut man das nicht, ist der schmerzvolle Zusammenstoß gewiss. Schon auf den ersten Schritt also nichts für KunstkonsumentInnen, die nur schnell durchschlendern wollen durch die kleine Gruppenschau auf dem Weg zur nächsten hübschen Touristenattraktion.
Das Konzept hinter „State of Play“ will mehr. Ein Blick auf die Liste der dreizehn teilnehmenden internationalen Künstler und Künstlerinnen deutet darauf hin, dass hier einmal mehr eine Bestandsaufnahme der Kunst und Ästhetik im Zeitalter ihrer grenzenlosen Befreiung von festen Gattungen und kritischen Maßstäben geliefert werden soll. Wo alles gleichzeitig existiert, alles nur noch eine Frage des Kontextes ist, wie es mittlerweile so gern heißt.
Inmitten dieser zerklüfteten Topografie aus unzähligen Plateaus vereint die Ausstellung ihre Exponate – Skulpturen, Installationen, Zeichnungen sowie Foto- und Videoarbeiten – unter dem Vorsatz, die traditionelle Rolle des Spiels beziehungsweise des Spielerischen im Bereich der Kunst aufs Neue zu hinterfragen. Als Feldforschung, wie fantasievoll, einsatzfreudig und provokativ denn zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen mit Ideen, Materialien und sozialen wie räumlichen Situationen umgehen.
Ähnlich wie Creed lenkt Andreas Slominski mit seinem massiven Bauwerk „Wall Built from Top to Bottom“ die Wahrnehmung spürbar auf die physische Umgebung: Der sorgsam verfugten Mauer fehlen lediglich die letzten zehn Zentimeter zur vollkommenen Geschlossenheit zwischen oben und unten. Hier wie da wird die Konstruktion zum Spiel, in dem praktische Einschränkungen durch rein kapriziöse ersetzt werden, allen voran eine absurde Unbequemlichkeit, die einen dann tendenziell durch den gesamten Ausstellungsparcours begleitet.
Im linken Seitenflügel hat Aleksandra Mir ein Monster von einem Regenschirm aufgespannt. Sechs großformatige Fotos an den Wänden zeigen die Künstlerin mit ihrem unhandlichen Wegbegleiter an verschiedenen öffentlichen Plätzen in London: Während sie einmal alle Kraft aufbringen muss, um den ungestümen schwarzen Koloss in der Fußgängerzone zu bändigen, verkehren sich die Dimensionen unverzüglich, als Mir samt Schirm innerhalb der gigantischen Säulenlandschaft des British Museum ins Verhältnis gesetzt wird.
Die reine Provokation kommt schließlich mit Maurizio Cattelan ins Spiel. Sein Posterprojekt wurde allerdings gänzlich aus dem beschaulichen Parkambiente ausgelagert und bespielt derzeit diverse Werbeplakatwände im Innenstadtbereich. Visuell auf die durch die Medien geisternden islamophobischen Schreckensvisionen abzielend, entpuppt sich der in arabischer Sprache beistehende Text zum Bild als Gedicht eines Mannes an seinen räumlich und emotional von ihm getrennten Liebhaber. Die demgegenüber kindgerecht verabreichte Portion Medienkritik liefert Christian Jankowskis akademische Konferenz von TV-Puppenstars, bei der sich etwa Grover, Fozzie Bear und die legendäre Lamp Chop über die Tücken ihres Starlebens austauschen.
Hat man den Weg aus dem Dunkel der Videokabine zurück in den lichtdurchfluteten Galerieraum gefunden, weht einem ein zweiter Trend, der in „State of Play“ zum Tragen kommt, förmlich um die Ohren: im Gegensatz zu der eingangs hinderlichen Ruppigkeit nun ein offenkundiger Wille zur Zurückhaltung. Gabriel Kuri hat langsam um sich selbst kreisende Deckenventilatoren mit weißen Plastiktüten bespannt, die nun in aufgeplustertem Zustand ihre diskreten profitorientierten Konsumbotschaften vermitteln: „thank you thank you thank you for your patronage“. Zusammen mit Tom Fehers sorgfältig übereinander gestapelten Styroporverpackungen und Pipilotti Rists leicht esoterisch anmutender Installation eines Obstbaumzweigs, an dem transparente Plastikhüllen baumeln, laufen die leise vor sich hin brummenden „Clouds“ unweigerlich Gefahr, die Alltagsrealitäten im freundlichen Nebeneinander aufzuweichen. Vielleicht rührt diese Schwäche im Grunde aus der Zurückhaltung, die das ästhetische Prinzip fordert, das die Ausstellung prägt. Und die ist am Ende eben doch nur mehr darauf bedacht, ein schmerzfreies und allzu faires Spiel zu liefern.
PAMELA JAHN
Bis 28. März, tägl. 10–18 Uhr