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Archiv-Artikel

Das Flattern der Spitzenmannschaft

Der VfL Bochum lässt weiterhin kein Heimspielgegentor zu, besiegt Borussia Mönchengladbach durch ein spätes Eigentor überaus glücklich mit 1:0 und setzt sich auf dem vierten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga fest

BOCHUM taz ■ Thomas Zdebel redet sich hinterher gerne das Spiel von der Seele. Nüchtern wie ein Statik-Ingenieur analysiert der Bochumer Mittelfeldspieler dann vor der Kabine am Bistro-Tisch Zweikampfverhalten und Laufbereitschaft seiner Mannschaft. Am Sonntag nach der Partie gegen Borussia Mönchengladbach fand Zdebel überhaupt kein Ende: „Wir haben das Spiel aus den Händen gegeben“, seufzte er und saugte an der Wasserflasche. Nein, so dürfe man sich zu Hause nicht vorführen lassen: „Wir müssen zu unserer alten Heimstärke zurückfinden.“

Nach dem 1:0 der Bochumer über die glücklosen Gladbacher war das eine fast schon unerhörte These: Seit September gelang den Gegnern im Ruhrstadion kein Tor mehr. Torwart Rein van Duinhoven blieb hier nun seit 834 Minuten ohne Gegentor. Noch zehn Minuten, dann holt sich der Bochumer Keeper den Uralt-Heimrekord von Schalkes Norbert Nigbur. Zwar stellte Borussia Mönchengladbach am Sonntag das insgesamt engagiertere Team, doch der VfL rutschte am Ende eines windigen Frühlingstages dennoch vor Bayer Leverkusen auf den vierten Tabellenplatz. Selbst ohne den nach Kopfstoß entlassenen Sunday Oliseh träumt der VfL weiter vom internationalen Wettbewerb.

Die dunkle Seite der Heimstärke – Zdebels Depressionen wären wohl nicht so düster ausgefallen, hätten die Bochumer weiter gespielt, wie sie begannen. Jäh stoppten sie aber selbst ihren munteren Sturmlauf auf das Tor der Gladbacher. Nach 15 Minuten kullerte Philip Bönigs Rückpass auf van Duinhoven zu. Der Torwart konnte eben noch vor Gladbachs Arie van Lent klären, vom Schienbein des Stürmers prallte der Ball in hohem Bogen Richtung Bochumer Tor – um schließlich doch nur auf dem Tornetz liegen zu bleiben.

Zwar hielt die Serie, doch nach der Schrecksekunde war das Selbstbewusstsein wie weggeblasen. Kaum ein Doppelpass fand Abnehmer, kaum ein Zweikampf wurde gewonnen. So nervös agierte seine Mannschaft, dass sich Trainer Peter Neururer in der Kabine den Sorgen seiner Spieler eher behutsam annahm. „Es gab keine Kabinenpredigt“, erklärte der Fußballlehrer, „wir haben nur versucht, herauszufinden, warum diese Angst aufgekommen ist.“

Auch wenn seine Spieler später das Wort Angst vermieden, Fußballtherapeut Neururer gelang es, seine Phobiker etwas zu beruhigen. In der zweiten Hälfte agierte Bochum nicht mehr so vogelwild. Und Sekunden vor dem Abpfiff segelte ein Freistoß des eingewechselten Delron Buckley in den Gladbacher Torraum und vom Borussia-Oberschenkel Sladan Asanins ins Gladbacher Tor.

Das böse Erwachen in letzter Minute hatten sich die Mönchengladbacher selbst zuzuschreiben. Ihre drei sehr guten Torchancen in der ersten Hälfte vergaben sie so jämmerlich, dass Trainer Holger Fach bei seinen Stürmern schon einen Biodefekt ausmachen wollte: „Ich kann denen ja kein Gen einpflanzen, dass sie die Dinger machen!“ Und mit Bänder-Defekt scheidet dagegen im Pokalderby bei Alemannia Aachen am Mittwoch Mittelfeldrenner Igor Demo aus.

Übellaunig kommentierte Holger Fach den Sieg seines Gegenparts. „Heute heißt es Peter der Glückliche, nicht Peter der Große.“ Seine Spieler hätten halt zu viele Fouls begangen „an den Seiten“. Und auch Borussia-Torwart Claus Reitmaier wusste, woran es lag. „Bochum hat doch nichts als Standardsituationen zustande gebracht.“ Auf der Erfolgswoge der intakten Serie zimmerte sich Neururer daraus sogleich ein großes Lob: „Der 1. FC Köln hatte bei seinem Double unter Hennes Weisweiler auch 80 Prozent der Tore aus Standardsituationen gemacht!“ Wer solch ein Spiel in der Schlussminute für sich entscheide, der könne sich mit Fug und Recht als Spitzenmannschaft fühlen – „gespielt haben wir aber anders“.

CHRISTOPH SCHURIAN