: Sag zum Abschied zeternd Servus
Kuhn geht, Scherf bleibt (wahrscheinlich): In der letzten Bürgerschaftsdebatte in dieser Legislaturperiode tragen die zwei Streithähne ihr letztes Duell aus. Mindestens 22 Abgeordnete kehren nicht ins Parlament zurück
taz ■ Ex-Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) blätterte unter der Bank in der Bild, Dieter Mützelburg von den Grünen zupfelte ungeduldig an einem Zettel, auf den er mit Edding dickschwarz „Fegefeuer der Eitelkeiten“ notiert hatte, um dieses sogleich Hartmut Perschau bei der Debatte ums bremische Finanzmanagement um die Ohren zu hauen.
Alles wie sonst auch in der Bürgerschaft: Nur, dass für Borttscheller wie Mützelburg gestern, am Tag der letzten Bürgerschaftsdebatte dieser Legislatur, ihre Karriere im Parlament endete – wie für insgesamt mindestens 22 Bremer Volksvertreter. Nach vier Jahren und 78 Sitzungen voller Streit, Widerspruch und Häme hätte dem hohen Haus ein wenig Gemeinsamkeit ganz gut getan. Davon war am letzten Tag der Gladiatoren jedoch wenig zu hören – ist ja bald Wahl.
Heute sei ein „Tag der Bilanzen“, meinte Hermann Kuhn von den Grünen, der sich nach zwölf Jahren Bürgerschaft wieder ausschließlich seiner Arbeit als Schriftsetzer widmen will. Und knöpfte sich in der EU-Debatte gleich seinen Lieblingsfeind vor: Bürgermeister Henning Scherf, der SPD-intern jetzt „Sonnengott“ genannt wird.
Nachdem Scherf sich in einem Interview gegen einen europäischen Zentralstaat ausgesprochen hatte, warf Kuhn ihm gestern „starke Anti-Brüssel-Sprüche“ vor. „Kein anderer bremischer Regierungschef“ habe je „so wenig europapolitisches Gespür gehabt“ wie Scherf.
Der Vorwurf sollte nicht ohne Folgen bleiben: „Ihr Beitrag war so frech wie unverschämt“, entgegnete Ex-CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer, bevor er, ebenfalls in seiner letzten Bürgerschaftsrede, der EU Grenzen in Richtung Türkei wies, um die USA „als natürlichen Partner“ zu preisen (Raunen aus der SPD-Fraktion: „Ou-ou-ou!“).
Selbstredend nahm auch Horst Isola seinen Bürgermeister in Schutz – nach 16 Jahren in der Bürgerschaft hörte der SPD-Mann gestern auf – wie übrigens auch die einstige Multi-Senatorin Eva-Maria Lemke-Schulte. Isola: „Mit seiner Warnung vor der Bürokratie in Brüssel hat Scherf doch recht!“
Der im Senat für EU-Angelegenheiten zuständige Sonnenkönig selbst hatte den Tag eigentlich „ganz versöhnlich“ mit den Kämpen aus den drei Fraktionen beenden wollen. „Nun macht mir das Herr Kuhn sehr schwer“, meinte Scherf. Er „respektiere“ Kuhns Weg vom einstigen Ultralinken zum „vorbildlichen Parlamentarier“, habe sogar schon oft Kuhns Buch „Bruch mit dem Kommunismus“ verschenkt. Wie der Grüne jedoch darauf komme, „dass wir Europa vergessen haben, ist mir völlig schleierhaft“, meinte Scherf. Die Bundesländer müssten dabei jedoch gemeinsam handeln. Scherf: „Ich – oder wer auch immer das in Zukunft macht – wir müssen darauf achten, dass wir in Zukunft nicht alleine da stehen.“ Und, zu Kuhn: „Ich erkläre mir Ihre Bitterkeit damit, dass Sie die unterschiedlichen Rollen, die wir haben, nicht respektieren können.“
Da wurde Kuhn das Ganze „zu persönlich“. Zu Scherf gewandt grantelte er: „Lassen Sie das, Zensuren zu verteilen. Das steht Ihnen in diesem Haus nicht zu!“ Scherf stand auf und ging.
Dass Parlaments-Redner wie Scherf, die „mit Emotionen Aufmerksamkeit“ erzeugen, wohl aussterben, bedauerte Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) im Anschluss an die Debatte. Highlight der vergangenen vier Jahre war für ihn auf jeden Fall die Bremerhaven-Rede des Grünen Manfred Schramm im März, der gestern auch aufhörte. Den CDUler Thomas Röwekamp hält Weber indes „für den bissigsten“ Rhetor.
Nein, in der vergangenen Legislatur habe es „keine wirklich tolle Debatte“ gegeben, meinte Kuhn nach dem Schlagabtausch mit Scherf – im Einklang mit Bernt Schulte (CDU). 1975 war der ehemalige Bau- und Innensenator erstmals in die Bürgerschaft eingezogen, in den letzten Jahren hatte er vor allem durch Zeitung lesen und Pult aufräumen im Parlament geglänzt – wie viele andere. Auch Schulte hatte gestern seinen letzen Tag: „Ohne Wehmut, mit Erleichterung“.Kai Schöneberg