: Nachrichten aus dem Dorf
Knallharte Didaktik und sanfter Realismus: Das Arsenal zeigt bis Ende März „Klassiker des schwarz-afrikanischen Films“ und zeichnet so die Entwicklungsgeschichte afrikanischer Gesellschaften nach
VON ANDREAS BUSCHE
Noch Ende der Siebzigerjahre beschrieb der senegalesische Filmemacher Mahama J. Traoré die Produktionsbedingungen in seinem Land als geradezu feindlich. Die Produktionsstätten befanden sich größtenteils in staatlicher Hand, waren aber noch vom Gutdünken des ehemaligen Kolonialherren Frankreich abhängig. Filmlaboratorien gab es keine, und die Verleihgeschäfte kontrollierte eine französische Gesellschaft, die die wenigen Filme senegalesischer Regisseure als minderwertig und für den internationalen Markt nicht tauglich einstufte. Wer es dennoch in die einheimischen Kinos schaffte, bekam es mit den strengen Zensurauflagen der staatlichen Behörden zu tun.
Es ist der Initiative einiger weniger Filmemacher wie Ousmane Sembène, Safi Faye und Gaston Kaboré zu verdanken, dass heute überhaupt ein Bewusstsein für das afrikanische Kino vorhanden ist. Sie gründeten die ersten selbst organisierten Verbände, machten sich für die Stärkung der afrikanischen Identität im Kino stark und fanden Wege, das aus Frankreich oktroyierte Produktions- und Distributionssystem zu umgehen. Diesen Pionieren widmet das Kino Arsenal im März ein 14 Spielfilme umfassendes Programm, das nebenbei auch die Entwicklungsgeschichte der afrikanischen Gesellschaften nachzeichnet.
Die schwierigen Arbeitsbedingungen afrikanischer Regisseure bugsierte Länder wie Senegal, Mali und Burkina Faso jedoch in eine sonderbare Situation. In den Siebzigerjahren entstand so ein Autorenkino, dem ein kommerzieller Gegenpol völlig fehlte. Was in den großen Kinos offiziell lief, waren größtenteils ausländische Produktionen, vor allem aus Frankreich. Die eigenen Produktionen dagegen brachten ein lebendiges, innovatives und stark an den alltäglichen Erfahrungen der Bevölkerung orientiertes Unterhaltungskino hervor, das sich auf afrikanische Erzähltraditionen berief.
Natürlich ist allein die Vorstellung eines genuin afrikanischen Kinos problematisch. Was Filmländer wie Senegal, Mali, Kamerun, Burkina Faso oder Nigeria verband, war zunächst allein die koloniale Erfahrung. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis der panafrikanische Filmverband Febaci unter Leitung des burkinischen Filmemachers Gaston Kaboré Mitte der Achtziger einheitliche Richtlinien aufstellte, die den Begriff des „afrikanischen Kinos“ inhaltlich mit Leben füllten. Kaboré war der wichtigste Verfechter eines sozialistisch geprägten „Volkskinos“, das mit der Bevölkerung in einen Dialog eintreten sollte. „99 Prozent der Filme, die bei uns gezeigt werden“, hatte er schon als Dozent am Institut Africain d’Éducation Cinématographique gesagt, „haben absolut nichts mit der Wirklichkeit unserer Bevölkerung zu tun. So muss denn auch jede Schulung von Cineasten zwangsläufig Rechenschaft ablegen über diesen gegebenen Zusammenhang mit der kulturellen Unterdrückung.“
Kaborés Film „Zan Boko“ (1989) löst diese knallharte didaktische Forderung mit einem sanften Realismus ein. Vor dem Hintergrund der schleichenden Verstädterung der Landbevölkerung zeichnet der Film ein Porträt traditionellen afrikanischen Lebens, das die neue, schwarze Bourgeoisie nicht mehr nachvollziehen kann. Verständnislos blickt sie von ihren Balkonen in den afrikanischen Hinterhof, geweihter Erde, die bald einem Swimmingpool weichen muss. Die Kritik an diesen Zuständen endet im Film mit einer Zensur des lokalen Fernsehsenders – mitten in einer Talkshow.
Ousmane Sembènes Satire „Xala“ (1974) beschreibt die selbstausbeuterischen Tendenzen innerhalb der afrikanischen Bevölkerung ebenfalls am Beispiel der städtischen Bourgeoisie, die vom französischen Kolonialherren viel gelernt hat. Er zeigt auch, wie wenig sich in den 15 Jahren zwischen den beiden Filmen verändert hat. Das Wort „Xala“ bedeutet in Woloff, der Sprache der Einheimischen, Impotenz, und dieser Zustand ist sowohl sexuell als auch politisch zu verstehen. Die Übernahme der wirtschaftlichen Schlüsselpositionen durch das schwarze Bürgertum setzt die Korruption nur in den eigenen Reihen fort. Ihr Bezug zum Volk, eine Gruppe von Bettlern, Krüppeln und Medizinmännern, ist vollends verloren gegangen – es sei denn, man kriegt keinen mehr hoch. Eine afrikanische Farce.
Die Balance zwischen Tradition und Moderne im afrikanischen Leben zu meistern, ist das durchgehende Thema der vierzehn Filme im Arsenal-Programm. In Ababacar Samb-Makharams „Kodou“ (1971) führt eine rituelle Lippentätowierung zu einer Familienschande. Das betroffene Mädchen wird zum Spielball zwischen einem Feticheur und einem Psychoanalytiker, den zwei Schlüsselfiguren des traumatisierten Afrika. Auch die Filme der Ethnologin Safi Faye kreisen in immer wieder faszinierender Einfachheit um diese Problematik. „Kaddu Beykat“ (Nachrichten aus dem Dorf, 1975) und „Fad Jal“ (Neuankömmling, arbeite!, 1979) beschäftigen sich mit den Unabhängigkeitskämpfen der Landbevölkerung: Unabhängigkeit vom kolonialen Erbe der Monokulturen, von der Geschichte der Unterdrückung, den Städten und Unwägbarkeiten der Natur.
Der rassistischen Vorstellung einer unterentwickelten afrikanischen Filmkultur, die ihre Ausdruckskraft allein aus der Andersartigkeit schöpft, steuerte schon 1972 Djibril Diop Mambétys „Touki Bouki“ (Die Reise der Hyäne), das Highlight der Hommage, entgegen. Zwischen neuem europäischem Autorenkino, symbolschwangerer Psychedelik und afrikanischer Moderne vermittelnd, schuf Mambéty einen afrikanischen Pop-Art-Film, der mindestens tausende von afrikanischen Jugendlichen vom coolen Leben träumen ließ. Mory und Anta waren die Belmondo und Seberg der afrikanischen Nouvelle Vague.
Termine: siehe Programm