: „Es geht darum, den Leuten nahe zu kommen“
Der Fotograf Tobias Zielony portraitiert weltweit Jugendliche, die am Rande der Gesellschaft stehen. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die Selbstinszenierungen der Jugendlichen international ähneln. Derzeit zeigt das Braunschweiger Photomuseum Zielonys Arbeiten
TOBIAS ZIELONY, 35, lebt in Berlin. Er studierte Dokumentarfotografie in Newport / Wales und Leipzig und unterrichtet Fotografie an der Folkwang-Hochschule in Essen.
taz: Herr Zielony, für Ihre Serie „Story / No Story“ haben Sie weltweit Jugendliche fotografiert – und zwar an Orten, an denen Jugendliche sich aufhalten, um unter sich zu sein. Wie haben Sie das Vertrauen der Jugendlichen gewonnen?
Tobias Zielony: Indem ich meine Rolle klar mache. Ich zeige oft Bilder aus anderen Städten – aus Los Angeles, aus Marseille oder aus Bristol. Es geht darum, dass sich die Jugendlichen in den Bildern wiedererkennen und den Wunsch haben, Teil dieser Bilderwelt zu werden.
Wie sind Sie zu der ersten Serie gekommen, mit der Sie losziehen konnten?
Die erste Serie ist entstanden, als ich noch in Wales Dokumentarfotografie studiert haben. Da wollte ich etwas über Jogging-Anzüge machen, weil mir aufgefallen war, dass sehr viele Jugendliche in Großbritannien tagein, tagaus Jogging-Anzüge anhaben. Ich bin in der Siedlung, in der mir das zum ersten Mal aufgefallen war, aus dem Bus gestiegen und habe angefangen, mit Leuten zu reden. Im Endeffekt mache ich das bis heute so. Dass die Leute mitmachen, hat auch damit zu tun, dass ihnen oft langweilig ist. Sie freuen sich, wenn jemand Interesse hat.
Sie sagen, Sie machen den Jugendlichen Ihre Rolle klar. Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?
Wenn ich irgendwo auftauche, werde ich als Fotograf wahrgenommen – ich bin der Mann mit der Kamera. Es wird dann auch von mir erwartet, dass ich Fotos mache. Mich interessiert gerade die Figur des Reporters, der sich irgendwo hinbegibt, um etwas selbst zu erleben und zu fotografieren. Diese Figur hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte geändert.
Inwiefern?
Eine Krise in diesem Genre war die Frage nach der Objektivität. Es sind mal Fotografen losgezogen, die gedacht haben, dass das, was sie fotografieren, die Welt zeigt, wie sie ist. Das ist nicht mehr haltbar. Für mich ist die praktische Vorgehensweise des Fotoreporters übrig geblieben. Die habe ich übernommen. In der aktuellen Ausstellung im Photomuseum Braunschweig zeige ich jedoch auch zwei Filme. Der eine erzählt von einem Indianer in Winnipeg, Kanada, der im Gefängnis versucht, aus seiner Gang herauszukommen.
Wenn Reporter fotografieren, dann geht es um Nachrichten. Worum geht es in Ihren Bildern?
Mich hat interessiert, wie man mit den Mitteln der Fotografie über den Alltag dieser Jugendlichen berichten kann. Ihr Alltag hat keinen Nachrichtenwert: Er ist eine Story, die keine Story wert ist. Aber heißt das, dass er unwichtig ist? Es passiert im Sinne der Nachrichtenökonomie nichts Besonderes in meinen Bildern – es gibt Leute, die rumhängen. Aber es gibt eine Relevanz, wenn man die verschiedenen Orte miteinander in Beziehung setzt, so wie ich das mache, wenn ich verlorene Straßenecken in Bristol und Tankstellen in Ostdeutschland zusammenbringe und man sich fragt: Was gibt es da für Beziehungen?
Nämlich?
Die Ähnlichkeiten sind auf den ersten Blick Klamotten – Jogging-Anzüge, Nike-T-Shirts, Baseball-Kappen, Turnschuhe. Das hat natürlich viel mit Globalisierung zu tun. Dahinter liegend gibt es soziale Strukturen an diesen Orten, die sich ähneln.
Wie würden Sie die beschreiben?
Ganz oft haben die Leute, die ich fotografieren, Probleme, teilzuhaben in der globalisierten Wirtschaft. Es sind Leute, für die es keine Arbeit gibt oder die obdachlos sind. Die aus irgendeinem Grund aus diesem System rausgefallen sind und die über Konsum auf einer medialen Ebene eine Teilhabe suchen.
Weil alle die gleichen Hip-Hop-Videos und Filme gucken.
Die Frage ist: Was passiert eigentlich, wenn ich mit der Kamera auftauche? Welche Bilder haben die Jugendlichen selber im Kopf? Was stellen sie vor der Kamera dar? Das sind dann Bilder, die sie in Filmen gesehen haben oder in Videos. Die aus einer medialen Welt stammen.
Das bedeutet: Die Jugendlichen nehmen Posen ein.
Ja, die übernehmen Posen, und interessanter Weise sind diese Posen an den verschiedenen Orten sehr ähnlich. Es geht in meiner Arbeit auch darum, dass der Umgang mit Bildern und Filmen Teil der Wirklichkeit der Jugendlichen ist. Es geht um ihre Form der Partizipation an solchen globalen Bildströmen. Mein Projekt ist auch der Versuch, die Verbindung zwischen diesen seltsamen Orten herzustellen.
Aber es sind nicht nur Posen, die Ihre Bilder zeigen. Sie kommen den Jugendlich durchaus sehr nahe.
Die Bilder sind eine Form von Kommunikation zwischen mir und den Leuten, die ich fotografiere. Es geht darum, den Leuten nahe zu kommen, mit ihnen zu reden, Vertrauen aufzubauen und möglichst viel Zeit zu verbringen. Das ist eigentlich das Wichtigste daran.
INTERVIEW: KLAUS IRLER
Tobias Zielony im Photomuseum Braunschweig: bis 25. 1. 2009