: Die Quadratur des Exils
Die israelische Künstlerin Tal Sterngast fühlte sich immer fremd im eigenen Land. Die Suche nach Identität bestimmt ihre Videointerviews, seit sie an der UdK studiert hat. Jetzt werden einige der Arbeiten in der Galerie K 34 gezeigt. Ein Porträt
von HELMUT HÖGE
Tal Sterngast wurde 1972 in der Nähe von Haifa, im Kibbuz Hasorea, geboren. Die Agrarkooperative wurde einst von Deutschen, die zur linken zionistischen Jugendbewegung gehörten, begründet, indem sie das Land Arabern abkauften. Die Großeltern mütterlicherseits kamen aus Berlin und hießen Stern, woraus dann im Hebräischen Kochavi wurde. Der Großvater väterlicherseits kam aus Polen und hieß Sterngast. Ihre Mutter war nicht gerade erfreut, als ihre Tochter den Nachnamen wieder rückübersetzte.
1981 gingen ihre Eltern in die Schweiz, um dort zu arbeiten, sie nahmen Tal mit. Als sie im Alter von 13 Jahren – zunächst allein – nach Hause zurückkehrte, war ihr dort alles fremd geworden: „Die Kibbuzbewegung befand sich in den Achtzigerjahren in einer Identitätskrise – auch ökonomisch: Wie geht es weiter? Es schien, dass man nach all den Kämpfen doch wieder beim Kleinbürgertum angekommen war. Ich ging aufs Kibbuzgymnasium, wo ich mich langweilte.“
Erst mit 16 Jahren entdeckte Tal Sterngast, dass in Israel auch Araber leben. Das war zu Beginn der ersten Intifada. Sie las damals die Bücher der so genannten neuen Historiker, die sich mit der Geschichte und der Gründung Israels sowie mit dem Palästinenserkonflikt befassten: „Die neuen Historiker haben mit ihrer Demythifizierung der Geschichte das ausgedrückt, was ich damals empfand. Wir hatten als Kinder eine sehr ideologische Ausbildung, es war ein bisschen wie eine DDR-Kindheit. Aber plötzlich wacht man auf – und sieht: Es gibt arabische Dörfer, die nicht einmal einen Namen haben – sie existierten gar nicht.“
Gleichzeitig stellte der wachsende Einfluss Amerikas Sterngast vor neue Probleme: „Meine Generation geriet direkt in diese Gesellschaftskrise Israels. Im Kibbuzdenken existierte das Individuum nicht.“ Den Kibbuzniks war nur noch die Struktur ihrer Ideologie geblieben, nicht mehr der lebendige Inhalt. Am Ende waren es nur Gebote, an die sich Sterngast heute noch erinnert: „Du darfst nicht extravagant sein, nicht so klug – nicht herausragend …“
Während ihres Studium an der Kunsthochschule in Tel Aviv war es die befreundete Dichterin Effi Mischori, die Sterngasts erste Lesungen und Performances organisierte. Damals kamen gerade die postmodernen Theorien nach Israel, man las Foucault. Daneben beschäftigte sich Sterngast aber auch noch mit jüdischer Philosophie: „Die sozialistischen Zionisten hatten die religiösen Texte lange Zeit vernachlässigt. Aber jetzt, da man auch in einer Glaubenskrise steckte, besann man sich wieder auf die alten jüdischen Denker. Ich habe mich gefragt: Warum bin ich in Israel? Meine Mutter aber sagte: ‚Wenn du weggehst, dann weiß ich – wir haben dich falsch erzogen.‘ “ 1991 musste Sterngast zum Militär. Sie kam zu einer „Educational Unit“, wo sie Ausbildungsprogramme entwickelte.
Zusammen mit zwei anderen Frauen fuhr sie mit einem Van zu den Basen und stellte didaktische Programme zusammen, z. B. zum Thema: Was ist Demokratie? „In der israelischen Armee hat es stets auch soziale und demokratische Ziele gegeben, sie war mit der Zivilgesellschaft eng verknüpft – und an diesen Punkten kamen immer die Frauen ins Spiel“, erinnert sich Sterngast, die in Tel Aviv stationiert wurde.
Nach dem Militär setzte sie 1994 ihr Kunststudium fort, wechselte aber dann zur Kunsthochschule nach Jerusalem. „Ich wurde dort immer introvertierter. Es gab kaum Kulturtreffpunkte in Jerusalem, und es wurde immer brutaler. Ich spreche nicht über Gewalt. Es wurde in psychologischer und auch finanzieller Hinsicht härter. Es war eigentlich keine Stadt mehr – eher ein Exil, sowohl für Juden wie für Araber. Ich jobbte neben dem Studium als Putzfrau.“ Für ihre Ausstellungen wählte sie inszenierte Fotos von Frauen in Landschaften. Die Frauen waren uniformiert, z. B. als Krankenschwestern. Weil ihr der künstlerische Weg aber noch unklar war, immatrikulierte sich Sterngast 2001 an der UdK, in der Klasse von Heinz Emigholz.
Dort stand ihr das nötige Film- und Videoequipment zur Verfügung, „und Emigholz unterstützt mich auch heute noch aus der Ferne“. Sie begann mit Dokumentarfilm zu arbeiten, weil dabei ihre Text- und Bildgeschichten allmählich zusammenfanden. Als erstes begleitete sie eine israelische Sängerin mit der Kamera durch Berlin: „Es ging dabei um unsere Beziehung, unsere Familien und über Fremdheit.“ Dann drehte sie eine Serie von Interviews, in denen ihr zehn deutsche Bekannte die Frage beantworteten: „Kannst du mir eine Geschichte erzählen, in der du dich noch immer schuldig fühlst? Und wenn du könntest, was würdest du heute zu dieser Person sagen?“ Als Sterngast neulich nach Israel zurückfuhr, merkte sie, dass sie gar kein Zuhause dort hat. Ihre Eltern waren in Kanada und sie fand im Kibbuz nicht einmal einen Platz, um ihr Gepäck abzustellen. Im Gegensatz zu ihrem in Israel lebenden Bruder hat sie nun das Gefühl, überall in der Emigration zu sein – und das bereits in der dritten Generation. „Durch meinen Umzug nach Deutschland hat sich jedoch dieses Gefühl der Fremdheit nach außen gestülpt: die fremde Sprache, die hier gesprochen wird, ist real. Aber die Situation als Emigrantin hier bedeutet auch, du machst was die ganze Zeit – auch wenn du nur die Verpackung von Waschpulver liest. Selbst auf eine Party zu gehen ist Mühe. Die Emigration – das ist ein Projekt!“
Man merkt diese Veränderung jedoch erst im Nachhinein. Als Sterngast jetzt wieder in Israel war, schien es ihr, „als wäre die Luft dort dünner – ohne viel Widerstand“. In Israel führte sie auch ein filmisches Interview mit einer früheren Klassenkameradin, in dem es um Erfolg und Scheitern ging. Das Video ist nun in der Ausstellung zu sehen, die Sterngast zusammen mit der Künstlerin Romana Schmalisch organisiert hat.
„Das sind Geschichten“. Bis 21. Mai, täglich 17 bis 21 Uhr, Galerie „34 K“, Kastanienallee 34, Prenzlauer Berg