Ein kulinarisches Chamäleon

Tofu ist mehr als nur gesunder Fleischersatz für Vegetarier. In Japan gilt er als Köstlichkeit. Richtig zubereitet, lässt Tofu sich vielfältig variieren. Diese Kunst ist hierzulande noch nicht weit verbreitet

von TILL DAVID EHRLICH

Im Land der aufgehenden Sonne ist Tofu mehr als nur eine Alternative zu Fleisch. Er ist die fünfte Säule der Ernährung. Keine Mahlzeit ohne Tofu – seit 2000 Jahren. „Tofu ist für uns wie Brot“, sagt Yukio Ogura. Sein frittierter Tofu leuchtet weiß wie frischer Schnee. Watteweich schmilzt er im Mund. Ein Hauch Ingwer verströmt sein Aroma – dezent, aber akzentuiert. Die ganzheitliche Philosophie der japanischen Küche lehnt es ab, den Eigengeschmack von Zutaten durch Gewürze zu überdecken. Sie sind nur ein Ton im Klang der Aromen.

Tofu wird aus Sojabohnen hergestellt. Chinesische Zen-Mönche entwickelten vor etwa 2.600 Jahren die Kunst, aus Sojabohnen Tofu entstehen zu lassen – strenge Klosterregeln verboten den Fleischgenuss. Die Bohnen werden in Wasser eingeweicht und gemahlen. Der Brei, die so genannte Sojamilch, wird wie Käse zum Gerinnen gebracht. Das Ergebnis ist Sojaquark – der Tofu. „To“ steht für „Bohne“ und „fu“ für „gerinnen“. Als der Zen-Buddhismus sich in Asien verbreitete, wanderte auch der Tofu mit.

Manche behaupten, roher Tofu schmecke nach nichts. Diese vermeintliche Schwäche ist jedoch seine eigentliche Stärke. Tofu ist ein kulinarisches Chamäleon. Sein Geheimnis: Er nimmt mühelos jeden Geschmack an. Schon einige Tropfen Sojasoße verwandeln ihn in eine pikante Leckerei. Nahezu grenzenlos lässt er sich einsetzen, ob gebraten, gebacken oder gekocht. Auch die Geschmacksrichtungen sind beliebig variierbar: ob scharf oder sauer, salzig oder süß. Tofu ist ein Allrounder.

Doch die schier grenzenlose Vielfalt kann auch schnell in Beliebigkeit umschlagen. Besonders hierzulande. Fettige Tofu-Burger, fade Tofuwürste und zähe Tofuschnipsel sind traurige Zeugen kulinarischer Lieblosigkeit. Tofu hat zudem bei uns für viele noch ein Müsli-Image. Er wurde lange nur als gesunder Fleischersatz, nicht als eigenständiges Produkt behandelt. Da blieb der Genuss oft auf der Strecke. Dass der cholesterinfreie Eiweißlieferant gesund ist, wissen viele. Dass er auch lecker sein kann, nur wenige. Trotzdem, mit jedem Fleischskandal wird Tofu populärer. Seit dem Rinderwahn haben Bioläden und Reformhäuser nicht das Tofumonopol nicht mehr allein inne. Immer mehr Supermärkte und Kaufhäuser bieten neben Sojadrinks neuerdings auch Tofuprodukte an – im Zeichen von „Fit for fun“. Im Moment ist Räuchertofu ein Renner. Auch wenn hiesiger Tofu noch nicht an den Geschmack von echtem Japantofu (z. B. erhältlich im KaDeWe) herankommt – die Qualität hat sich verbessert.

Dagegen sind in der japanischen Küche Genuss und Gesundheit traditionell eine Einheit. In Jahrtausenden hat diese faszinierende Küche ihren ganzheitlichen Charakter perfektioniert. Bekömmlichkeit, Geschmack und Schönheit sind ihr Wesenszug. Die Köche streben bei der Zubereitung den Ausgleich von Gegensätzen an. Das Ziel ist Harmonie. Extreme Kombinationen werden vermieden, um körperlichen Stress auszuschließen. Deshalb kombinieren japanische Köche nicht nur verschiedene Geschmacksrichtungen, sondern auch die Eigenschaften der Zutaten. Tofu steht für kühle Energie. Er ist daher auch ein beliebtes Sommergericht.

Japanische Köche zelebrieren Tofu gern. Als Zen-Ritual. Tofu gibt es täglich, aber oft nur in drei Varianten. Heiß, kalt und in der Miso-Suppe. Schlicht, aber vollendet. Zen eben. Barocke Gemüter, die das für zu puristisch halten, lassen sich meist mit den ersten Bissen bekehren.

Aber Tofu hat noch viel mehr Seiten als rituelle Strenge. Man kann ihn wunderbar mit der mediterranen Küche verbinden. Gerade wegen seiner Geschmacksneutralität passt er gut zu intensiven Aromen, zu geschmorten Tomaten und Olivenöl. Hinzu kommt seine Leichtigkeit, die ideal zu frischen Aromen und Kräutern passt. Beispielsweise zu Knoblauch, Rosmarin oder gerösteten Pinienkernen.

Aber die asiatische Küche bringt auch bei uns den Tofu endlich ansprechender auf den Tisch. Mit dem anhaltenden Boom der thailändischen Restaurants sind asiatische Lifestyle-Restaurants auf dem Vormarsch. Sie setzen noch stärker auf frische Produkte und modernes Ambiente im Zeichen von Feng-Shui. Und auch auf Tofu.