: Fremdheit, die betäubt
Cannes Cannes (IV): Samira Makhmalbaf zieht mit ihrem dritten Spielfilm „Panj é asr“ alle Register jenes staubigen und zugleich transparenten iranischen Kinos, das auf allen internationalen Festivals reüssiert. Dieses Mal bewegt sich Makhmalbaf allerdings auch hart an der Grenze zum Kunstgewerbe
von CRISTINA NORD
Am Ende wartet die Wüste. Leer geräumt ist die Landschaft. So weit der Blick reicht, legt sich Staub auf Steine. Ein Ort für die, die sich aufgegeben haben. Hier lässt Samira Makhmalbaf die Wege ihrer Figuren enden. Der alte Mann, seine Tochter und seine Schwiegertochter gehen einen Hang hinab, Schritt für Schritt ihrem Verschwinden entgegen, bis hinter dem Kamm des Hügels nur mehr die um ihre Köpfe gewickelten Tücher zu sehen sind und später nichts mehr. Am Anfang traten sie so ins Bild, wie sie jetzt sich entfernen: Hinter einem Hügel hervor kamen sie, erst nur die Köpfe, ein Hahn auf dem Rücken ihres Pferdes, später die Oberkörper. Schritt für Schritt der Kamera entgegen.
Was dazwischen liegt, in Makhmalbafs drittem Spielfilm „Panj é asr“ („Um fünf Uhr nachmittags“), kann mit der Klarheit dieser Bilder nur manchmal mithalten. „Panj é asr“ läuft im Wettbewerb. Der Vater der jungen Regisseurin, Mohsen Makhmalbaf, hat bei der Produktion so sehr mitgeholfen, dass Skeptiker den Film als sein Werk betrachten – und überdies als ein Indiz dafür, wie viel Vorhersehbarkeit der Auswahl der Wettbewerbsfilme innewohnt.
Nun zieht Makhmalbaf – durchaus mit Geschick – die Register jenes staubigen und zugleich transparenten Kinos, das aus dem Iran kommt und auf internationalen Festivals und in Arthouse-Theatern reüssiert. Doch die Fremdheit, die sich in „Panj é asr“ einquartiert hat, betäubt, weil sie kalkuliert erscheint. Hinzu kommt, dass Makhmalbaf sich vor nahe liegenden Motiven und leicht zu begreifenden Abfolgen nicht scheut. Aus der Klarheit wird so schnell Aufdringlichkeit, und daran ändert sich nichts, wenn auf den Sätzen und Repliken der Figuren so viele Thesen lasten, dass man an einen Verfremdungseffekt glauben möchte und doch ahnt: So naiv, wie die Figuren sich äußern, so ist es auch gemeint.
„Panj é asr“ spielt im von den Taliban befreiten Afghanistan. Noqreh, die Hauptfigur (Agheleh Rezaïe), ist eine lernbegierige junge Frau. Hinter dem Rücken des religiösen Vaters besucht sie eine Schule und träumt davon, dass einmal eine Frau Präsidentin des Landes sein wird. Und was spricht dagegen, dass sie diese Frau ist? Rund um sie herum haben sich alle Formen staatlicher Ordnung aufgelöst. Die Soldaten der internationalen Schutztruppen können den Menschen, die auf der Suche nach Wasser, Nahrung, Obdach sind, nicht helfen. Eine neue, verlässliche Ordnung können sie erst recht nicht bilden. So richten sich die Menschen in Ruinen ein, zwischen den Minen und in geborstenen Flugzeugen.
Die Kamera Ebrahim Ghaforis gewinnt diesen Räumen viel ab. Mit den Säulengängen in einem zerstörten Palast staffelt er seine Bilder, mit den Tschadors der Frauen erzielt er überraschende Effekte. So schöpft er aus den weißen Kopftüchern und den schwarzen Gewändern der Schülerinnen eine eigene Choreografie, je nach dem, ob die jungen Frauen aufstehen, sich setzen oder einen Arm heben. Und wenn sich die plissierten Stoffe der blauen Schleier im Wind bauschen, schafft er ein schönes, wogendes Bild. Seltsam daran mag scheinen, dass ausgerechnet das Kleidungsstück, das die Unterwerfung der Frauen symbolisiert, so wirksam für die Ästhetik des Filmes gemacht wird. Doch vielleicht beschreibt dies eine oft unterschlagene Ambivalenz: Denn nur wo es Schleier gibt, gibt es auch den besonderen Augenblick der Entschleierung. Der Anmut und dem Versprechen dieser Geste gilt das Interesse der Regisseurin und des Kameramanns.
Der Titel des Films geht auf ein Gedicht Federico García Lorcas zurück, „La cogida y la muerte“, das der spanische Dichter einem in der Arena zu Tode gekommenen Stierkämpfer gewidmet hat. In den Einstellungen, in denen es rezitiert wird, streift die Kamera an Rindern vorbei, um deren stumpfe Blicke einzufangen. Es sind dies die Momente, wo Makhmalbafs Inszenierung von Fremdheit in ihr Gegenteil umzuschlagen droht: Plötzlich hat „Panj é asr“ etwas von Kunstgewerbe.
In anderen Szenen begnügt sich Makhmalbaf mit dem Plakativen: Sie spart sich nicht die Bilder des toten Säuglings im Arm der Mutter, die noch immer daran glaubt, dass das Kind nur schläft. Und als eine der Schülerinnen bei der Explosion einer Mine ums Leben kommt, sieht man als überdeutliches Zeichen ihre Brille, zersprungen im Staub.