: Ausbruch aus der Einstimmigkeit
Die neue Göttinger Wochenzeitung versucht in der Studentenstadt Fuß zu fassen. Gegen den Trend, denn die Pressekonzentration scheint unaufhaltsam. Die „Einzeitungskreise“ werden mehr
von Holger Schleper
Mittlerweile 300 Kreise in Deutschland sind davon betroffen – und ein Ende ist nicht in Sicht. Auch Göttingen traf es, und zwar schon vor 32 Jahren. Damals wurde die Studentenstadt in Südniedersachsen zum Opfer der Pressekonzentration. Die Göttinger Presse musste aufgeben, einzig das Göttinger Tageblatt blieb für die lokale Berichterstattung. Bis heute. Jetzt will eine neue Gazette zumindest in Ansätzen einen zweiten Blick auf die Geschehnisse in der Kreisstadt werfen.
Die Resonanz ist groß
Jürgen Bartz und Jens Wortmann heißen die Initiatoren, die völlig unzeitgemäß mit der Göttinger Wochenzeitung ein neues Blatt etablieren wollen. „Selbst unsere Bank hat gesagt, Göttingen braucht eine weitere Zeitung“, beschreibt Jürgen Bartz die breite Unterstützung für das Projekt. Jens Wortmann, ehemaliger Geschäftsführer des Göttinger Stadtradios, pflichtet bei: „Die Resonanz auf unsere Idee war in allen gesellschaftlichen Bereichen sehr groß.“
Allmächtiger Madsack
Eine weitere öffentliche Stimme, wenn auch noch dünn, scheint höchst willkommen in der Stadt. Verständlich in Anbetracht der derzeitigen Presselandschaft. Die einzige städtische Tageszeitung, Das Göttinger Tageblatt, wird von der gleichnamigen GmbH verlegt, die zu 99 Prozent der Hannoveraner Verlagsgesellschaft Madsack gehört. Alternative Informationsquellen sind zwei wöchentlich erscheinende Anzeigenblätter. Der Blick Göttingen ist dabei zu hundert Prozent in Besitz von Madsack, der Extra-Tip wird von einer anteiligen Madsack-Tochter verlegt. Spärliche Informationen über ihre Umgebung können Göttingens Bewohner darüber hinaus noch aus der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) oder der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) gewinnen, wobei letztere wiederum aus dem Hause Madsack stammt.
Monotonie nimmt zu
Auch bundesweit wird die Pressevielfalt immer weiter zurückgedrängt. Bereits 1968 hatte der Bundestag die so genannte „Günther-Kommission“ einberufen, wegen der bedrohlichen Pressekonzentration in Deutschland, wie es hieß. Vorschläge sollten erarbeitet werden, die Entwicklung aufzuhalten. Genutzt hat es wenig. Damals gab es fast 150 Einzeitungskreise im Bundesgebiet, heute sind es fast 300. Einzeitungskreise sind solche Regionen, in denen nur eine lokale Tageszeitung ohne Konkurrenz erscheint.
In Niedersachsen findet sich diese Situation über dreißig Mal, in Schleswig-Holstein sind zehn Regionen betroffen. Auf lokalem Gebiet scheint für Pressevielfalt wenig Raum. Ungefähr 50 Prozent der Bundesbürger können sich nur aus einem lokalem Presseorgan informieren.
Daran werden auch die beiden Gründer der Göttinger Wochenzeitung nichts ändern. Trotzdem – Optimismus und Ehrgeiz sind groß. Eine Bandbreite von der bürgerlichen Mitte bis zu einer links-alternativen Leserschaft wollen Jürgen Bartz und Sven Wortmann ansprechen. „Besonders reißenden Absatz findet unsere Zeitung derzeit in Bioläden“, weiß Bartz, zeigt sich aber zuversichtlich, dass der Leserkreis schon bald sehr breitgefächert sein wird. Dafür soll auch ein ausreichender Raum für Leserbriefe und Beteiligungsseiten sorgen.
Wie einst die taz ...
Bei der Finanzierung haben sich Wortmann und Bartz für das Modell einer Genossenschaft entschieden. „Man musste sich diese Idee ja nur abgucken“, verweist Wortmann auf die 1979 gegründete tageszeitung. Dabei ist für das Göttinger Blatt ein Startkapital von etwa 50.000 Euro notwendig, was vornehmlich durch Zeichnung von Anleihen in Höhe von je 100 Euro erreicht werden soll.
Zur Zeit haben sich 175 Genossen der Idee der Göttinger Wochenzeitung verschrieben. Sobald genügend Gesellschafter gewonnen sind, soll die neue Gazette an jedem Freitag in einem Umfang von 32 Seiten erhältlich sein. Immerhin gäbe es dann freitags wieder zwei Göttinger Zeitungen. Niedersachsen könnte damit zwar immer noch nicht seinen dreizehnten Zweizeitungskreis begrüßen. Aber es wäre ein Anfang.