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Archiv-Artikel

Die Ruhe ist hin

Spröde Annäherung: Die schottische Autorin A. L. Kennedy erzählt in ihrem Roman „Also bin ich froh“ eine unvermittelt keimende Liebesgeschichte

von Carola Ebeling

Gefühle stellt sich Jennifer Wilson, Ich-Erzählerin in A. L. Kennedys neuem Roman Also bin ich froh, den sie jetzt in Hamburg und Osnabrück vorstellen wird, wie Maulwürfe vor: Die wühlen im Inneren der Menschen und schießen bei allen möglichen, unpassenden Gelegenheiten hervor. Sie ist anders: „Ich habe keine Maulwürfe.“ Kaum ein Ort ist da passender als die schalldichten Kabinen, in denen die Radiosprecherin ihrem Beruf nachgeht – alles ist abgepolstert, keine Störungen sind zu befürchten, die Bewegungen der Menschen gleichen einem Schleichen. So ist es gut, so soll es bleiben.

Aber natürlich wird die schottische Autorin ihrer Heldin die Höhle nicht lassen. Schon in Gleissendes Glück und dem zuletzt erschienenen Alles was Du brauchst gewährt sie ihren Figuren keine austarierte Zufriedenheit und auch kein mittelmäßiges Leid. Sie kreiert die Polaritäten von Unglück und Erfüllung.

Auch Jennifer wird dem ausgesetzt sein. Sie selbst wendet sich an die Leser, gibt sich als Schreiberin des vorliegenden Buches aus, als Chronistin jener Ereignisse, die die Statik ihres Lebens zum Einsturz brachten. „Ich bin aus meiner Zeit oder meinem Geist gefallen“, sagt jener Mann, der eines Tages unvermittelt in der Küche von Jennifers WG auftaucht. Woher er kommt, wie er heißt – er vermag es nicht zu sagen. Vorläufig erhält er den Namen Martin. Martin, „mit der Ausstrahlung eines poetisch veranlagten Preisboxers oder eines tanzenden Schlachters“, spricht sehr höflich, ein wenig gestelzt. Seine Haut leuchtet manchmal wie Phosphor. Jennifer, auf Unglauben geeicht, sieht sich mit dem Unglaublichen konfrontiert, das in Martins Behauptung kulminiert, er sei Savinien Cyrano de Bergerac. Jener Freigeist und Dichter aus dem 17. Jahrhundert ist in Glasgow auferstanden und darüber ganz fassungslos.

Jennifer wird ihren „Unglauben für eine Weile aussetzen“ – und man selbst folgt dem Beispiel gern. Kennedy gelingt hier Ungewöhnliches: Sie verknüpft die Phantastik dieser Auferstehung mit der Gegenwartsrealität Großbritanniens in den 90ern zu einer gänzlich überzeugenden Geschichte. Die altmodische Höflichkeit Saviniens und seine Hilflosigkeit angesichts einer veränderten Welt; die spröde Zurückhaltung Jennifers und ihr trockener Humor: In ganz wunderbaren Dialogen offenbaren sich die ungelenken Versuche, Nähe herzustellen. Als Savinien geht, wird Jennifer ihn vermissen. Sehr. Ihre „Ruhe“ hat sie verloren. Woher ihr Kontrollbedürfnis kommt, warum sie ihre Sexualität vorwiegend gürtelschwingend in sadomasochistischer Manier lebt und ihre eigene Aggressivität fürchtet – Kennedy erzählt davon, ohne die Figur zu überlasten.

Auch Savinien, der in Duellen einst Menschen tötete, hat eine ambivalente Beziehung zur Gewalt. Diese Erfahrungen werden zu einem wichtigen verbindenden Moment, als er zurückkommt. Die Liebe der beiden steht schon im Raum, und doch wollen beide sie so sehr meiden, wie sie sie wünschen. Kennedy entwirft dichte Szenen, in denen dieses Ringen mit sich und dem anderen, ein Ringen um Vertrauen, zum Tragen kommt. Ihre Liebesgeschichte ist seltsam und doch von „altmodischer“ Romantik: Kennedy setzt ihre Figuren schließlich der Erfüllung aus. Und wird sie ihnen wieder entziehen. Denn beide ahnen, dass Savinien nicht bleiben kann.

Der ausgestellte Alltagszynismus Jennifers zu Beginn, die gekappten Sätze der Dialoge, die Körperlichkeit, die Kennedy auch der Rede ihrer Figuren einschreibt und die immer wieder aufleuchtende Poesie – die Autorin schöpft aus dem Vollen ihrer Sprachkunst. Die Erzählkraft, mit der sie die disparaten Elemente, die vielen Motive zu diesem geglückten, eigensinnigen Roman verwebt, ist beeindruckend. Auch, wie vielschichtig sie ihre Figuren zeichnet, wie sie das Dunkle neben das Komische stellt. Sie vollführt eine meisterliche Gratwanderung: so viel Ernst, so viel Wärme, mit der sie die Begegnungen und schließlich die Liebe der beiden schildert, ohne in Sentimentalität abzugleiten. Sie kann das uralte Thema neu gestalten, indem sie vermeintlich Veraltetem nachgeht: Keine Furcht zu haben vor dem Absoluten.

A. L. Kennedy: „Also bin ich froh“. Berlin 2004, 280 S., 19,50 EuroLesungen: Hamburg: 18.3., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38; Osnabrück: 19.3., 20.30 Uhr, Blue Note, E. M. Remarque Ring 16