: Streit um Scherfs Abschiedsrede
Vordergründig geht es bei dem aktuellen Koalitionsstreit um 60 Millionen Euro, die im aktuellen Haushalt für Sozialhilfe fehlen. Aber Scherf will nicht mit dem Eingeständnis nach Berlin fahren, dass die Sanierungspolitik gescheitert ist
Bremen taz ■ Es knistert in der Bremer Koalition. „Unseriös“ nennt der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörg Kastendiek die Haltung des SPD-Kollegen Jens Böhrnsen, und dann plaudert der CDU-Mann aus, dass Böhrnsen in den internen Beratungen „in der vergangenen Woche noch das Ziel eines verfassungsgemäßen Haushalts aufgeben wollte“. Und wer die Frage aufwirft, warum Bürgermeister Henning Scherf sich nicht hinter die Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) stellt, der erntet in der SPD-Fraktion Achselzucken.
In der Sache geht es um erhebliche Lücken in den Haushaltsplänen für 2004 und 2005, die nicht wirklich einzusparen sind. Aber Henning Scherf hat in den letzten Tagen einmal mehr klar gemacht, dass er seine Rolle in Bremen mit der Vorlage eines verfassungskonformen Haushaltsplanes für 2005 verbindet. Wer jetzt den daraus resultierenden Spardruck wegnehmen würde, der muss fürchten, für den Abschied des Bürgermeisters verantwortlich gemacht werden.
Das will auch SPD-Kronprinz Jens Böhrnsen nicht und ließ sich deshalb auf die Linie einschwören, dass die 60 Millionen Euro Lücke, die bei den Sozialhilfe-Ausgaben noch im Haushaltsplan klafft, durch „Sparen“ geschlossen werden muss. Jedenfalls auf dem Papier, auf dem die Planungen gemacht werden. Auch im Jahre 2003 war der Haushalts-Ansatz für Sozialhilfe 50 Millionen zu niedrig, Arbeitslosigkeit, Altersarmut und der Bedarf an Erziehungshilfen steigen eben an, rechtfertigt sich Sozialsenatorin Karin Röpke. Die mittelfristige Finanzplanung sei im Jahre 2001 fälschlicherweise von einer anziehenden Konjunktur und sinkenden Arbeitslosenzahlen ausgegangen.
„Die Angelegenheiten sozial bedürftiger Menschen in dieser Stadt sind nicht allein die Sache der Sozialsenatorin, sondern betreffen den gesamten Senat“, sagt die neue SPD-Unterbezirksvorsitzende Carmen Emigholz. Böhrnsen unterstreicht: „Der Fraktionsvorsitzende steht an der Seite von Karin Röpke.“ Das heißt: Wenn 60 Millionen Euro noch zu streichen sind, dann in allen Ressorts.
Dagegen sperrt sich noch die CDU. „Fakt ist: Frau Röpke hat zum wiederholten Male ihr Budget deutlich überzogen“, sagte Fraktionschef Kastendiek. Angesichts knapper Finanzen seien bei den anderen Ressorts keine Einsparungen mehr möglich. Röpke solle erst einmal in ihrem eigenen Bereich nach Lösungen suchen.
Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) geht davon aus, dass der Senat in der kommenden Woche einen politischen Kompromiss finden wird. Wirklich einzusparen wäre aber nur ein geringer Teil der Summe, für den größeren Teil müssten auf dem Papier Lösungen zur „Deckung“ der Summe gefunden werden, die bisher als Reserven eingeplant sind.
Die Forderung der CDU, dass das Sozialressort im eigenen Bereich die 60 Millionen Euro einsparen soll, hätte dramatische Folgen für diverse Hilfe-Projekte und wäre geeignet, die SPD in der Stadt vorzuführen. So überrascht die Position der SPD nicht, dass auch die anderen Ressorts zur Deckung der Lücke beitragen müssen. Jedenfalls solange Henning Scherf meint, für seine Abschiedsrede an der Fiktion eines „verfassungskonformen Haushaltes“ festhalten zu müssen. Für den Haushalt 2004 wird die trotz der letzten Rate – 375 Millionen Euro Sanierungshilfe – noch bleibende Lücke sowieso über Neuverschuldung finanziert, im Juni könnte klar sein, um welche Summe die Berliner Kanzlerbrief-Hilfen hinter den derzeit eingeplanten 508 Millionen Euro für 2005 zurückbleiben und um welche Summe das Sanierungsziel des „verfassungskonformen Haushaltes“ schon aus diesem Grunde verfehlt wird.
Klaus Wolschner