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Archiv-Artikel

Das Kreuz mit dem Kreuz

Gäbe es eine „Partei der Wechselwähler“, sie würde die nächste Bundestagswahl sicher gewinnen. Keiner weiß mehr, wo „die Mitte“ ist – und die „politischen Lager“ von gestern sind längst geräumt

VON JÖRN KABISCH

Sie waren ein glänzendes Paar in der letzten Staffel von „24“: Jack Bauer und Nina Myers, zwei Antiterrorspezialisten, die sich blind verstanden, eine Variation von Batman & Robin oder Starsky & Hutch. Im Finale dann entpuppte sich Nina als der eigentliche Feind. Allen hatte er misstraut, nur nicht ihr. Wer die zweite Staffel des Echtzeitkrimis verfolgt, hofft, dass Nina wieder ins Lager von Jack Bauer wechselt (Fortsetzung nächsten Dienstag, 20.15 Uhr, RTL II).

Bei einer anderen Echtzeitserie, der Titel heißt schlicht „Deutsche Politik“, ist es genau umgekehrt. Da hoffen die Dramaturgen, aus zwei Buddys wieder echte Gegner zu machen: Auftritt Horst Köhler, Präsidentschaftskandidat „des bürgerlichen Lagers“, wie es auf einmal heißt, und aus der rot-grünen Ecke Gesine Schwan. Hier stehen sich echte Antipoden gegenüber, wollen von Schröder bis Bütikofer, von Merkel bis Stoiber alle wissen. Die Leitartikel sekundieren: Wirtschaftler kontra Wissenschaftlerin, Spitzenbeamter kontra Spitzenpolitologin, Sachkenntnis kontra Charme. Was sich hier abzeichnet, ist ein Lagerwahlkampf. Obwohl: Köhler steht für die noch kompromisslosere Durchsetzung der rot-grünen Reformen durch Schwarz-Gelb, Gesine Schwan für fast das Gleiche – nur mit einem menschlicheren Antlitz.

Dem Wahlvolk selbst hat die Politik schon lange keinen echten Lagerwahlkampf mehr geboten. Wenn der Wahlzettel nicht zum Denkzettel für Rot-Grün gemacht wurde, dann waren Einzelthemen wie der Irakkrieg ausschlaggebend – oder Sympathieträger wie in Hamburg ein Ole von Beust. Oft konnte man über den Ausgang nur staunen. Da rettete sich ein Gerhard Schröder noch einmal aus einem katastrophalen Umfragetief, da wollten zu wenige die hanseatische CDU mit ins Schill-out schicken: Keine Partei kann mehr auf eine feste Stammklientel bauen, erklären die Wahlforscher, warum bei Wahlen so viel ins Schaukeln gerät. Die Mitte, einst ein Fixpunkt der Politik, scheint launenhaft und wankelmütig geworden zu sein.

Aber wenn zwischen zwei Buddys zu entscheiden ist, zählt eben oft nicht mehr als die schnelle Sympathie. Die Parteien sind selbst schuld, sie bewegen nicht, sie verwalten. Was ist die Agenda 2010 mehr als ein Zehnpunkteprogramm für den Shareholder an der Deutschland AG? Die Union ihrerseits hatte ohnehin nur selten eine echte Unternehmensphilosophie für die Republik.

Was trennt noch rechts und links? Die Kopfpauschale? Die Bürgerversicherung? Der Steuerhöchstsatz? Alles Prokuristenzank! Die zwei großen Lager sind nicht zu unterscheiden.

Welche Auswirkungen das hat, ist schon seit Jahren in Ostdeutschland zu beobachten. Dort kommt hinzu: Die Parteien werkeln hier von Anfang an ohne tradierte gesellschaftliche Wurzeln. Die Folge: Wahlen werden zu Protestwahlen, das Reservoir von Nicht- und Wechselwählern wird größer, immer öfter wird von Erdrutschsiegen gesprochen – und damit zugleich davon, dass etwas erodiert. Der Verlust der Lager hat den Just-in-Time-Wähler hervorgebracht. Er entscheidet nach den Sonderangeboten, nicht mehr nach der Marke. Union und SPD trennt dabei ungefähr so viel wie Aldi und Lidl.

Nun stehen 2004 noch 13 Wahlen an. Die Union fühlt sich in einer Win-Win-Situation. Ihr wird ein so glänzender Durchmarsch prophezeit wie dem FC Bayern normalerweise der Weg an die Tabellenspitze. Wahlkampf, das ist für CDU/CSU eigentlich nur noch Wählermobilisierung. Die SPD wenigstens hat erkannt, dass sie nicht länger auf den Solokünstler Gerhard Schröder vertrauen kann. Sie wird am Sonntag auf dem Parteitag in Berlin den Mann an die Spitze setzen, der noch am meisten nach Sozialdemokratie riecht: Franz Müntefering.

Schon jetzt hat die Lagerpflege oberste Priorät, wenn auf dem Parteitag die Gewerkschaften wieder mit ins Boot geholt werden sollen. Das neue Lagerdenken zeigt sich auch schon in der Sprache. Beispiel Joachim Poß: „Die Union will eine andere Republik“, geißelte der SPD-Finanzexperte das CDU/CSU-Steuerkonzept vorige Woche. Solche Worte hat man lange nicht mehr gehört.

Wenn sie denn wahr wären. Stehen sich da wirklich zwei Konkurrenten gegenüber? Oder sind es nur zwei Buddys, die ein bisschen mehr Thrill im Drehbuch brauchen?