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Archiv-Artikel

Briefe für den europäischen Wanderzirkus

EU-Konvent: 16 Staaten wollen am rotierendem Kommissionspräsidenten und an einen Kommissar pro Land festhalten

BRÜSSEL taz ■ Je knapper die Zeit im Konvent zur Reform der Europäischen Union wird, desto mehr verlegen sich die Delegierten aufs Briefeschreiben. 16 von 25 derzeitigen und künftigen EU-Mitgliedern haben Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing schriftlich wissen lassen, dass sie an dem Prinzip festhalten wollen, das jedes Land mindestens einen Kommissar nach Brüssel schicken darf. Auch das Rotationsprinzip, das dafür sorgt, dass die EU-Präsidentschaft reihum durch die demnächst 25 Hauptstädte Europas wandert, wollen die kleinen Länder nicht aufgeben. Allenfalls Gruppenpräsidentschaften halten sie für eine Möglichkeit, das Chaos künftig in Grenzen zu halten.

Während also im Konvent die grundlegenden Konflikte Groß gegen Klein und Befürworter der Gemeinschaftsmethode gegen Euroskeptiker bewältigt werden müssen, liefern sich Konventspräsident Giscard d’Estaing und Kommissionspräsident Romano Prodi ein Briefgefecht ganz anderer Art. Als gäbe es nichts Wichtigeres zu tun, debattieren sie seit Tagen über die Frage, ob und wo sie ein öffentliches Streitgespräch über die Reform der Europäischen Union führen sollen. Prodi möchte in Brüssel bleiben, Giscard möchte eine Einladung Erwin Teufels annehmen und das Duell in Stuttgart austragen.

Für dieses Provinztheater haben die anderen Konventsmitglieder nur Kopfschütteln übrig. Sie müssen sich mit wirklichen Problemen herumschlagen. Im Konvent zeichnet sich eine überwältigende Mehrheit dafür ab, den neuen Posten des Außenministers zu schaffen, der gleichzeitig bei Rat und Kommission angesiedelt sein soll. Der neue Minister soll den Außenministerrat ständig leiten. Die verstärkte Zusammenarbeit einiger Länder soll einfacher werden, wobei die Rolle des Außenministers dabei noch unklar ist.

Der britische Regierungsvertreter Peter Hain allerdings machte gestern deutlich, dass er sich diesem breiten Konsens widersetzen wird: „Nur souveräne Mitgliedsstaaten können eine erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik gestalten.“ Die EU habe keine Regierung und brauche daher auch keinen Außenminister. Auch engere Zusammenarbeit in der Verteidigung lehnte Hain ab. „Man kann Diplomatie und Sicherheit nicht trennen. Wenn die Diplomatie scheitert, werden unsere Soldaten getötet.“ Niemand könne leugnen, dass Großbritannien eine starke militärische Kraft sei.

Dagegen appellierte der für Innen- und Justizpolitik zuständige Kommissar Antonio Vitorino an die Delegierten, den neuen Posten des EU-Außenministers durchzusetzen. „Niemand kann den Leuten erklären, warum es länger gedauert hat, bis die fünfzehn EU-Regierungen das Cotonou-Abkommen unterzeichnet hatten, als bei den über 70 Vertragspartnern der Dritten Welt.“

Der Europaparlamentarier Elmar Brok erinnerte daran, dass in Umfragen mehr als 70 Prozent der EU-Bürger mehr gemeinschaftliches Handeln in der Außenpolitik befürworten. Das könnten aber nur mit qualifizierter Mehrheit gefällte Entscheidungen ermöglichen.

DANIELA WEINGÄRTNER