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Archiv-Artikel

Schweizer stimmen über Atom ab

Doppeltes Referendum: In einem der beiden Entscheide geht es lediglich um ein Neubau-Moratorium, im zweiten auch ums Abschalten nach 30 Betriebsjahren

FREIBURG taz ■ Die Bürger der Schweiz entscheiden am Sonntag über den Atomausstieg in ihrem Land – und zwar gleich doppelt. In einer der beiden Abstimmungen geht es um ein Moratorium, das in den kommenden zehn Jahren jeglichen Neubau von AKWs verbieten soll. Mit dem zweiten Referendum wird darüber entschieden, ob den bestehenden Reaktoren nach 30 Betriebsjahren die Zulassung entzogen wird.

Zumindest der Moratoriums-Initiative werden gute Chancen auf eine Mehrheit eingeräumt. Denn bereits im September 1990 war ein ähnliches Volksbegehren mit einer Mehrheit von 54,5 Prozent der Stimmen angenommen worden – es durfte also seither in der Schweiz kein neues Atomkraftwerk gebaut werden. Die jetzige Initiative soll das ausgelaufene Moratorium verlängern und verschärfen: Auch Leistungserhöhungen bestehender Anlagen sollen untersagt werden. Zudem sollen nach 40 Betriebsjahren alle Atomkraftwerke vom Netz gehen, sofern nicht ein Referendum eine Verlängerung erlaubt.

Die zweite, weitergehende Initiative mit dem Namen „Strom ohne Atom“ legt unterdessen fest, dass die drei alten Blöcke Mühleberg, Beznau I und II spätestens zwei Jahre nach der Volksabstimmung stillgelegt werden müssen. Die beiden neueren Reaktoren Gösgen und Leibstadt sollen in den Jahren 2009 und 2014 (30 Jahre nach Inbetriebnahme) vom Netz.

Beim Bundesamt für Energie hält man es nach den Erfahrungen von 1990 für gut möglich, dass das Moratorium erneut von den Bürgern angenommen wird – obwohl das Bundesamt selbst beide Initiativen ablehnt. Die Gegner des Ausstiegs malen die üblichen Horrorszenarien an die Wand: Mehrkosten von einer Milliarde Franken pro Jahr würden durch den Atomausstieg anfallen; zudem werde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz massiv gefährdet.

Dem halten die Atomkraftgegner den „riesigen Zukunftsmarkt mit tausenden von sicheren Arbeitskräften“ durch die erneuerbaren Energien entgehen sowie die unkalkulierbaren Risiken der Nuklearenergie. Atomkraft trägt in der Schweiz einen beträchtlichen Anteil zum Strommix bei. Das Land deckt seinen Strombedarf zu gut 36 Prozent aus seinen fünf Atomreaktoren. 60 Prozent des Strombedarfs werden durch Wasserkraft gedeckt, nicht einmal drei Prozent aus fossil befeuerten Kraftwerken, gut ein Prozent aus Abfall, Holz und Biogas.

Wie vor jeder der zahlreichen Abstimmungen in der Schweiz üblich, hatten in den letzten Wochen die Interessengruppen in der Presse für ihre jeweiligen Positionen geworben. So hoch die Wellen im Vorfeld der Abstimmung auch schlugen – zumindest die Moratoriums-Initiative ist weniger eine reelle Richtungsvorgabe für die Politik als viel mehr eine symbolische Entscheidung. Denn unabhängig vom Ausgang des Referendums gilt ein AKW-Neubau in der Schweiz derzeit als undenkbar. „Kein Mensch will in den nächsten zehn Jahren ein neues Atomkraftwerk bauen“, sagt der Sprecher des Bundesamts in Bern, Adrian Lüthi. Denn schließlich habe die Schweiz genügend Strom. Und nicht nur das: „In ganz Europa gibt es einen Stromüberschuss.“ BERNWARD JANZING