themenläden und andere clubs : Über unangemessene Freizeitgestaltungen: Wie man Berlin in New York findet
Haben Sie schon einmal über unangemessene Freizeitgestaltung nachgedacht? Weil sie so vielgestaltig ist, böte es sich an, sie durch eine klare Definition von der angemessenen Freizeitgestaltung zu trennen. Weil die angemessene Freizeitgestaltung aber ebenfalls sehr vielgestaltig ist, fällt diese definitorische Trennung schwer. Weshalb nur festzustellen bleibt, dass unangemessen ist, was auch unangemessen scheint.
Sehr unangemessen ist es zum Beispiel, für ein Britney-Spears-Konzert von Berlin nach New York zu fliegen, obwohl man weder Britney Spears noch ihre Konzerte besonders schätzt. Besonders unangemessen ist es darüber hinaus, anzunehmen, ein Britney-Spears-Konzert könnte einem in New York besser gefallen, als es das woanders tun würde. Ganz und gar unangemessen wird es jedoch, wenn man in New York ankommt und feststellen muss, dass es in New York gar kein Britney-Spears-Konzert gibt. So ist es mir jedenfalls neulich passiert.
Nun ist New York aber eine große Stadt, die auch abgesehen von Britney und ihrer speziellen Kunst so einiges zu bieten hat. Angemessen wäre es in diesem Fall, die besonderen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten in der Britney-freien Zeit ausgiebig zu nutzen. Man könnte sich die Sehenswürdigkeiten ansehen. Man könnte zum Aufspüren eines spezifischen New Yorker Lebensgefühls aufmerksam durch die Straßen ziehen. Man könnte zum Beispiel der Frage auf den Grund gehen, warum ein Großteil der hoffnungsfrohen männlichen, weißen Jugend meint, den Stil der Strokes kopieren zu müssen, obwohl dieser Stil nicht einmal den Strokes besonders gut steht.
Man könnte erörtern, warum die segensreiche Erfindung der doppelverglasten Fenster sich in New York selbst in den Neubauten noch nicht durchgesetzt hat. Oder Überlegungen darüber anstellen, warum sich eigentlich jeder New Yorker eine Hauskatze hält, obwohl er aufgrund der mindestens drei Jobs, die es dort zum Überleben braucht, doch gar keine Zeit für eine Hauskatze hat. Man würde dabei dann auch schnell die Beobachtung machen, dass New Yorker, die ansonsten so keimempfindlich und bakterienscheu wie alle anderen Amerikaner sind, offenbar nur selten unter der hierzulande weitverbreiteten Geißel der Katzenhaarallergie leiden – was, ganz nebenbei, ein verdächtiges Licht auf all die hiesigen Katzenhaarallergiker wirft. Man könnte sich also in angemessener Weise in das Seelenleben der New Yorker hineinfühlen, gerade so, wie es sich für Besucher und Touristen geziemt. Doch selbstverständlich macht man das nicht.
Stattdessen gibt man sich unangemessen ausgedehnten Shopping-Exkursionen hin, um dank des starken Euros all jene Konsumgüter käuflich zu erwerben, die einem hierzulande irgendwie zu teuer scheinen. Und wenn man sich abends noch etwas Unterhaltung gönnt, spart man die Veranstaltungen mit zu viel Lokalkolorit aus und setzt lieber auf Bekanntes. Zum Beispiel auf die beliebten Kölner DJs Michael Mayer und Superpitcher, die sich gemeinsam mit Miss Kittin in einem Club namens Volume die Ehre geben.
Das Volume muss man sich als einen fabrikhallenartigen Club vorstellen, den man in Brooklyn in einer fabrikhallentypischen Nachbarschaft findet, der aber auch in Berlin denkbar wäre. Die Volume-Besucher sehen so aus, wie sie aussehen würden, stünde das Volume in Berlin, und die Musik klingt so, wie man sie auch hier hört. Man fühlt sich also fast wie daheim. Und auch das ist eigentlich völlig unangemessen, wenn man schon in New York ist.
HARALD PETERS