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Archiv-Artikel

Das Feuer des schwarzen Blutes

Auf dem Höhepunkt der Weimarer Jazzbegeisterung berichtete der junge Berliner Radioreporter Hellmut H. Hellmut 1931 „Live from the Cotton Club“. Auf einer Doppel-CD ist sie nun noch einmal herausgekommen. Das rhetorische Lexikon des Primitivismus und der Negrophilie wird hier zum Hörbuch

VON TOBIAS NAGL

„Hallo Europa, hallo Amerika – Unser Mikrophon steht auf der Freiheitsstatue“, verkündete im April 1931 sensationsheischend ein Bericht des jungen Berliner Reporters Hellmut H. Hellmut in der Südwestdeutschen Rundfunk Zeitung. Und eine Sensation des Tempos und der Machbarkeit war es tatsächlich, was der weltgereiste Radiojournalist seinen Lesern ankündigte: Vom 20. März bis zum 20. April leitete Hellmut die ersten Radiodirektübertragungen aus den Vereinigten Staaten auf alle deutschen und österreichischen Sender.

Mit diesem „sensationellen Sieg“ der Rundfunktechnik sollte er Mediengeschichte schreiben: Von der Freiheitsstatue wurde seine erste Reportage per Kurzwelle auf den Pier an der Südspitze des New Yorker Hafens übertragen; von dort aus gingen Hellmuts Großstadtimpressionen per Kabel in die Studios der New Yorker National Broadcasting Company, die sie an die Kurzwellensender Shenectady und Pittsburg weiterleitete. In Deutschland schließlich wurden sie in Beelitz empfangen und in das Berliner Funkhaus übermittelt, das sie dann sofort an alle Empfänger weiterleitete.

Nicht alle von Hellmuts Berichten kamen jedoch tatsächlich live über den Äther. Denn so spektakulär die transatlantische Kurzwellenübertragung als Technikevent auch angelegt war, deutsche Rundfunkgesellschaften waren bereits Anfang der Dreißigerjahre dazu übergegangen, die bis dahin üblichen Direktübertragungen durch Schallplattenaufzeichnungen zu ersetzen, die den Vorteil besaßen, dass sie im Studio nachbearbeitet und wiederholt werden konnten. Mit einem großen, omnibusähnlichen Aufnahmewagen fuhr so auch Hellmut H. Hellmut während seines USA-Aufenthalts durch Manhattan und entwarf von dessen Dach aus eine akustisches Profil der Großstadtphysiognomie, sprach für seine deutschen Hörer ins Mikrofon, was er auf dem Times Square und an anderen berühmten Ecken der Stadt beobachtete. Im New Yorker Funkhaus wurden seine Reportagen dann auf Wachsplatten aufgezeichnet und in Deutschland für die Sendereihe „Die Welt auf der Schallplatte“ bearbeitet.

Eine dieser Reportagen, die Hellmut in der Nacht vom 20. zum 21. April im angesagten Harlemer Cotton Club aufnahm, ist nach 70 Jahren vor kurzem im Archiv der RCA vom Reissue-Experten Michael Brooks als Metall-Positiv wiederentdeckt worden. Die renommierten Jazzhistoriker Horst Bergmeier und Rainer Lotz haben dieses rund 20-minütige musikalische und kulturhistorische Zeugnis verdienstvollerweise wieder zugänglich gemacht. Ergänzt um weitere akustische Raritäten, als Doppel-CD und zusammen mit einem 124-seitigen, durchgängig vierfarbig illustrierten Katalog.

Ob die Cotton-Club-Reportage auch tatsächlich im deutschen Rundfunk zu hören war, ließ sich trotz mühsamer Recherchen nicht mehr feststellen. Mit einiger Evidenz lässt sich jedoch vermuten, dass es sich dabei um eine Sendung handelte, die am 20. September unter dem Titel „New York bei Nacht“ ausgestrahlt wurde. „Fast unsichtbar verborgen stand das Mikrofon auf dem Tisch der Negerkaschemme“, so eine damalige Rundfunkzeitschrift in ihrer Ankündigung, „ungehemmt tobte sich das Feuer schwarzen Blutes rundherum aus.“ So entstanden „unretuschierte Momentaufnahmen eines New York“, das man „aus Geografiebüchern und Ansichtskarten niemals kennen lernen wird“.

Doch das ist nicht das einzige Rätsel, das Hellmuts Live-Reportage umgibt. Zur Musik von Cab Calloway, der Bluessängerin Lethia Hill oder zu einer Performance des Stepptänzers Eddie Rector erzählt er in einem neugierig-begeisterten, manchmal jedoch auch etwas steifen Ton, er befände sich in einem niedrigen und dunklen „Kellerlokal“, einem „Black & Tan“-Lokal, in dem „Weiß und Schwarz zusammen tanzen“. Schwarz seien die Kellner, so Hellmuts O-Ton, „schwarz sind auch viele Gäste, schwarz ist das Orchester – sie hören es, denn das ist gut“.

Doch so überschäumend seine im Primitivismus der Weimarer Jazzbegeisterung schwelgenden Worte auch klingen: Vom realen Cotton Club kann in ihnen eigentlich nur schwerlich die Rede sein. Ausführlich schildert das großzügig gestaltete Booklet die Hintergründe. Der 1923 vom Gangster Owney Madney eröffnete Jazz-Club, entstanden aus dem Club De Luxe des exilierten schwarzen Schwergewichts-Champions Jack Johnson, der das rassistische Amerika bereits in den 10er-Jahren durch seine öffentlichen Ehen mit weißen Frauen nachhaltig in Panik versetzt hatte, war ein extravaganter Club für den sensationsgierigen weißen Geldadel, der nach dem neuesten thrill suchte.

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich das ehemals irische Einwandererviertel Harlem schnell zum Epizentrum afroamerikanischer Kreativität und eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins entwickelt, das sich in der Literatur und in der bildenden Kunst, im Theater und in der Musik niederschlug. Doch die so genannte Harlem-Renaissance prägte auch die Entwicklung des Viertels selbst: In den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren besaß Harlem mehr als 125 Vergnügungsstätten: Tanzpaläste, Cafés, Lounges, Speakeasies, Bars und Grills. Auch bei weißen Amerikanern war das Viertel deshalb en vogue.

Im Cotton Club konnten sie ihre Sehnsüchte nach einer fantasierten schwarzen Authentizität in aller bürgerlichen Sicherheit ausleben, denn Afroamerikaner selbst hatten nur selten Zugang – es sei denn als Angestellte oder Performer. Und selbst als Performer unter einem rassistischen Regime: Tänzerinnen mussten nicht nur mindestens 1,68 Meter groß sein, sondern auch hellhäutig. Erst 1932 wurden nach einigen positiv verlaufenen Testauftritten von Louis Armstrongs Frau Lucille Wilson die Regeln gelockert und auch dunkelhäutigere Girls zugelassen.

Als Gäste waren Schwarze nur zugelassen, wenn es sich bei ihnen um ausgesprochene Top-Stars handelte. Doch selbst als W. C. Hardy, Komponist des weltberühmten „St. Louis Blues“, den Club besuchen wollte, um seinen eigenen Hit zu hören, wurde er abgewiesen. Nicht anders ging es dem mit der Harlem-Renaissance sympathisierenden weißen Schriftsteller und Fotografen Carl Van Vechten, als er mit einer schwarzen Begleiterin Einlass begehrte. Und beim Cotton Club handelte es sich auch nicht um einen dunklen „Keller“, sondern um ein ebenerdiges, hufeisenförmiges Etablissement mit über 700 Sitzplätzen, das mit künstlichen Palmen, Bongotrommeln und „afrikanischen“ Grafiken ausgestattet war. Vieles spricht dafür, dass es sich bei der Aufnahme insgesamt um eine Inszenierung handelte: Oder warum sollte Eddie Rector sonst nach einem furiosen Tapdance-Solo auf Deutsch „Ach, du heiliger Strohsack!“ ausrufen?

Von der Segregation spricht Hellmut in seiner naiven Bewunderung nur implizit; bei seiner Reportage handelt es sich um eine „ethnografische Fiktion“. Er macht den Club „schwärzer“, als dieser tatsächlich war, indem er seine Eindrücke aus dem Cotton Club mit Impressionen aus anderen Clubs synthetisierte. Wie ein Ethnograf der alten Schule berichtet er aus einem imaginierten „Kreuzungspunkt urwaldhafter Rhythmik und Zügellosigkeit und europäisierter Zivilisation“, betont sein Dabeisein und das „Typische“, sprich: „Rassische“. Und genauso ist er vom steten Pesthauch des Niedergangs umgeben, irgendetwas kommt ihm beständig „nicht ganz echt vor“: Es ist nicht mehr das authentische „Harlem von einst“, das er für die Nachwelt rettet.

Doch gerade ihre Zeitgebundenheit macht Hellmuts Reportage so interessant als Dokument der Jazzrezeption in Deutschland: Das gesamte rhetorische Lexikon des Primitivismus und der Negrophilie wird hier zum Hörbuch. Und in ihrer beständigen Rede vom Verfall verdeutlicht sie einmal mehr, aus welch banalen zeitgenössischen Quellen sich selbst die Verdikte Adornos und Kracauers vom Jazz als „knallrot geschminkter Greisin“ speisen, die „nicht mehr zu retten“ sei.

Wie sehr die Rede vom „Niedergang“ des Jazz natürlich schon damals fehlging, zeigen die restlichen Aufnahmen auf „Live from the Cotton Club“: von Verfall keine Spur. Neben einem Versuch Duke Ellingtons, die elektrifizierende Atmosphäre im Club mit der von ihm damals geleiteten Hausband bereits 1929 im Studio nachzustellen, finden sich Radio-Liveaufnahmen des Duke Ellington Orchestras aus dem Cotton Club von 1938, Auszüge aus der Revue „Black and White Birds“, seltene Aufnahmen von Cab Calloway (den Hellmut seinen Hörern zuvor rührend als „Kapellmeister“ beschrieb), aber auch unbekanntere Namen der Clubgeschichte wie Adelaide Hall oder die mit Kazoos und Waschbrett musizierende Tramp Band fehlen nicht. Der wundervoll illustrierte Katalog erzählt kenntnisreich und ausführlich die Geschichte Harlems und des Clubs, seines kriminellen Betreibers und der hier vertretenen Künstler, beschreibt Segregation und Alltagsrassismus, die Machenschaften der Mafia und den Einfluss der Prohibition auf das Nachtleben.

V. A.: „Live From The Cotton Club plus …“ 2-CD-Box (LP-Größe) mit 124-seitigem Buch. Erhältlich im Fachhandel oder bei www.bear-family.de