: „Eine dürftige Begründung“
Das Gericht vertraut auf die Aussage des Kronzeugen Mousli – trotz dessen falscher Behauptungen. Drei der fünf Angeklagten kündigten Revision an
AUS BERLINCHRISTOPH VILLINGER
Irgendwie waren die Angeklagten an den Vorbereitungen der Anschläge der Revolutionären Zellen (RZ) beteiligt, irgendwo standen sie bei den Aktionen im Weg rum, und irgendwann haben sie bei den Erklärungen mitdiskutiert. So könnte man das sechsstündige Plädoyer des Oberbundesanwalts Michael Bruns zusammenfassen, das er nach über 160 Verhandlungstagen im Berliner Verfahren gegen fünf angebliche Mitglieder der RZ hielt.
Den Richtern des Berliner Kammergerichts scheint das gereicht zu haben: Nach 174 Verhandlungstagen verurteilten sie die fünf Angeklagten gestern zu mehrjährigen Haftstrafen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte mit dem Paragrafen 129 a StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) ein Instrumentarium in der Hand, das es erlaubt, keine konkreteren Beweise vorlegen zu müssen. Dennoch wusste auch Bruns, auf welch wackligen Beinen seine Vorwürfe stehen, und blieb deshalb bei den beantragten Strafen zwischen zweieinhalb und fast vier Jahren im unteren Drittel des möglichen Strafmaßes. Mit dem Urteil folgte das Gericht gestern im Wesentlichen den Anträgen der Bundesanwaltschaft.
Der Werkzeugmacher Rudolf Schindler (61) und seine Frau, die Galeristin Sabine Eckle (57), wurden als Rädelsführer der RZ zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ein dritter vermeintlicher Anführer, der ehemalige Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin, Matthias Borgmann (55), erhielt, da er im Prozess geschwiegen hatte, vier Jahre und drei Monate. Zwei weitere Angeklagte, Harald Glöde (55), Mitarbeiter der Forschungsstelle „Flucht und Migration“, und Axel Haug (53), der Hausmeister des Berliner Mehringhofes, wurden wegen untergeordneter Bedeutung für die RZ zu zwei Jahren und neun beziehungsweise zehn Monaten verurteilt.
Knapp 40 Anschläge wurden seit der Gründung der RZ 1973 in Berlin verübt. Die konkreten Vorwürfe gegen die Verurteilten jedoch beruhten fast ausschließlich auf den Aussagen des in einem extra Verfahren zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilten Kronzeugen Tarek Mousli (45). Weiteres wurde in drei Jahren Prozessführung so gut wie nicht aufgeklärt. Weder konnte die BAW die vielen Behauptungen Mouslis durch unabhängige Beweise untermauern, noch gelang es den Verteidigern, den „objektiven Gegenbeweis“ zu finden. Nachweislich falsche Behauptungen Mouslis, wie die Beteiligung Glödes an einem Sprengstoffanschlag 1987, wurden vom BKA rechtzeitig korrigiert und „als Ringen um die Wahrheit“ dargestellt – Glöde saß zum Tatzeitpunkt in Polizeigewahrsam. Deshalb handelt es sich nicht nur für die Verteidigerin Silke Studzinsky bei dem Verfahren um einen politischen Prozess, bei dem die Suche nach der Wahrheit außer Kraft gesetzt sei. Wie die meisten ihrer KollegInnen hatte auch sie Freispruch gefordert. „Eine erschreckend dürftige Urteilsbegründung“, kommentierte Schindler-Verteidiger Hanns-Wolfgang Euler.
Aus der Sicht der BAW haben sich die Aussagen Mouslis „im Kern bestätigt“, da im Laufe des Prozesses Schindler, Eckle und Haug zugaben, etwas mit den RZ zu tun gehabt zu haben. Doch die drei erzählten die Geschichte völlig anders als Mousli. Schindler bekannte sich zu den Knieschüssen auf Korbmacher, allerdings habe Mousli nicht fünf Ecken weiter Schmiere gestanden, sondern sei unmittelbar an der Tat beteiligt gewesen.
Auch monierten die VerteidigerInnen wiederholt, wie sich Mouslis „Erinnerungsvermögen“ erst während seiner Zusammenarbeit mit dem BKA und dem Verfassungsschutz entwickelte, „verlockt“ durch das Angebot von 1.200 Euro netto pro Monat plus Nebenkosten im Zeugenschutzprogramm des BKA. Bei der Verweigerung einer Kooperation hätte ihm eine über fünfjährige Haftstrafe gedroht.
Bei aufwändigen Durchsuchungen im Berliner Alternativzentrum Mehringhof wurden weder das von Mousli behauptete Sprengstoffdepot noch Spuren eines solchen gefunden. Doch die BAW hat weiterhin „keinen Zweifel, dass es dort ein Sprengstoffdepot gab“. Es sei eben nicht jedes potenzielle Versteck untersucht worden, so Bruns.
Die vom Hauptangeklagten Schindler verübten Schusswaffenattentate vom Oktober 1986 auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg sowie vom September 1987 auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher sind verjährt.
In seinem Schlusswort hatte Rechtsanwalt Johannes Eisenberg vor einem Fehlurteil gewarnt. Er erinnerte an den Prozess gegen zwei Herausgeber der autonomen Monatszeitschrift radikal, die das Kammergericht 1984 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen „Werbung für die RZ“ verurteilte. Jahre später hob der BGH das Urteil auf. Übrig blieben 3.000 Mark Geldstrafe pro Person, weil doch „irgendwie“ was dran sei.