berliner szenen Straight durch den Tag

Der Wunsch nach Wärme

Nachmittags, beim Tischtennis hatte er zwei Haschs mitgeraucht, obgleich er in letzter Zeit den Eindruck hatte, dass die Mattigkeit nach dem Haschrauchen sich mit dem Älterwerden verstärkte. Der Rausch selbst bleibt schön, aber die Mattigkeit im Kopf und in den Augen am Vormittag danach ist recht unangenehm. Vermutlich auch nicht anders als bei gewohnheitsmäßigen Low-Level-Trinkern. Trotzdem bedauerlich. Hasch ist ja quasi das St. Pauli unter den Rauschmitteln und seinen Verein wechselt man ja auch nicht, nur weil er gerade nicht so gut spielt. Er dachte an A. Sie hatte von einem Ex-Junkie erzählt, mit dem sie sich im „Tresor“ an der Bar unterhalten hatte. Der Entzug sei gar nicht so sehr das Problem, hätte der gesagt, die plötzliche Unendlichkeit der Tage sei kaum zu ertragen. B., die einen Herbst lang die Samstagabende zu Hause verbracht und Heroin geraucht hatte, hatte von dem Loch erzählt, dass sie in sich spüre, seitdem sie so Furcht erregend straight geworden war, von dieser endlosen Sehnsucht nach wunsch- und bewegungsloser Wärme, die sie seitdem immer in sich spüre. Er hatte ihr gesagt, macht doch ein Kind, ihr versteht euch doch prima und Schwangere kriegen zur Belohnung körpereigene Opiate. Das hatte neulich auch der Asienexperte Manfred von Osten im XXP-Sender gesagt, dachte er. Er stellte sich ans offene Fenster und rauchte, weil er plötzlich angefangen hatte, den Rauch im Zimmer nicht mehr zu mögen und drehte am Radio, das L. zurückgelassen hatte, als sie auszog. Die Sender sind Inseln in einem Meer aus Rauschen, und es ist schön, an ihnen vorbeizuschwimmen. Auf Klassikradio lief die Deutschlandhymne. Er war ein bisschen erschüttert, aber eigentlich doch nicht wirklich. DETLEF KUHLBRODT