DIE DISKUSSION ÜBER DIE VERFASSUNGSSCHUTZREFORM BRAUCHT ZEIT : Gefahr symbolischer Politik
In Deutschland wird über die Abschaffung von 16 der 17 Verfassungsschutzämter diskutiert. Der Inlandsgeheimdienst soll künftig beim Bund konzentriert oder koordiniert werden, fordern Bundespolitiker aller Couleur. Ein später Erfolg gegen den Überwachungsstaat? Nein, der Verfassungsschutz soll effizienter werden.
Doch Doppelarbeit und Konkurrenz gibt es nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen den verschiedenen Sicherheitsapparaten selbst. Schließlich ist die Polizei schon seit Jahren ebenfalls im Vorfeld des Terrorismus aktiv und versucht mit Rasterfahndung, Telefonüberwachung und Spitzeln gewaltbereite Strukturen aufzudecken, bevor sie zuschlagen können. In Effizienzkriterien gedacht, könnte man den Verfassungsschutz also gleich ganz abschaffen.
Doch so einfach ist das nicht mit der Effizienz. Gerade die wenig ergiebigen Rasterfahndung der Polizei nach dem 11. September zeigt, dass sich potenzielle Terroristen auch mit viel Aufwand nicht unbedingt vorab identifizieren lassen. Die Folge ist symbolischer Aktionismus gegen „extremistische Ausländer“, die schneller ausgewiesen werden sollen. Ein effizienterer Verfassungsschutz brächte vermutlich nicht mehr Aufklärung, sondern mehr dieser symbolischen Ausgrenzungspolitik. Hier sorgen die existierenden Landesämter für Verfassungsschutz zumindest für etwas Transparenz. Dass in einem Bundesland die PDS als Verfassungsfeind gilt, in einem anderen die „Republikaner“, verdeutlicht Willkür und parteipolitische Motivation des Verfassungsschutzes. Wer nur die Landesämter abschafft oder abwertet, beseitigt auch ein Stück Gewaltenteilung.
Für eine gründliche Diskussion über Notwendigkeit, Aufgaben und Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes sollten sich Politik und Gesellschaft deshalb Zeit nehmen. Doch vielleicht sticht angesichts der aktuellen Terrorsorgen wenigstens ein pragmatisches Argument: Würde der Verfassungsschutz gerade jetzt umstrukturiert, dann wäre er zunächst nicht wirkungsvoller, sondern vor allem mit sich selbst beschäftigt. CHRISTIAN RATH