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Archiv-Artikel

Immer munter hoch und runter

Zwei Männer und zwei Frauen tun wie Abba, und auf den Rängen geht es ab: Abbamania, „das beste Abba-Konzert seit Abba“, hysterisiert Berlins Bürger aus den Randbezirken und bietet das totale Entertainment zwischen Bierzelt und Seniorengymnasik

von CHRISTIANE RÖSINGER

Manchmal ist es ganz interessant, die angestammten Ausgehbezirke zu verlassen, um sich bewusst zu machen, dass das Leben in der Stadt doch viel vielschichtiger ist als im kleinen Umfeld und Szene-Krähwinkel. Was geht zum Beispiel an einem Freitagabend am Theodor-Heuss-Platz? Da geht einiges.

Da strömen die Massen zu „Abbamania“, dem angeblich „besten Abba-Konzert seit Abba“, da kommen die Teenager, die flotten Fuffziger und die lebenslustigen Senioren auch aus den Randbezirken, um für 27 Euro dem Zauber Abbas zu erliegen. „Abbamania“ – das sind zwei Männer und zwei Frauen, die so tun, als seien sie Abba. Dazu verkleiden sie sich, singen und bewegen sich wie die schwedische Popgruppe. Ein orchestrales Medley berühmter Abba-Melodien vom Band eröffnet den Abend, an der weißen Bühne hat man nicht an Diskokugeln und Lichtpyramiden gespart.

Die Agnetha-Darstellerin hat sich in einen unvorteilhaften blauen Skianzug mit gestrickter Tarnkappe gequetscht, Annafrid trägt ein zipfliges Tischtuch. Die Abba-Männer am drehbaren weißen Yamaha-Piano und der Sterngitarre sind mit Perücken und silbernen Plateaustiefeln ausstaffiert. Das Schiller Theater ist ausverkauft, ein wohlwollendes, zum Amüsement bereites Publikum, dem man unterstellen möchte, sich im Leben immer eher für die Kopie als für das Original zu entscheiden, hat sich hier eingefunden. Für dieses Publikum wurde bereits das ganze Look-alike-Genre erfunden, etwa die „Stars in Concert Show“, die allabendlich im Estrel Hotel in Neukölln läuft. Wer, aus welchem Grund auch immer, sich dieses Spektakel einmal angeschaut hat, wird festgestellt haben, dass das Doppelgängertum zur Perfektion getrieben wurde, dass „Elton John“ echter als das Original ist, dass die Darbietungen der Imitatoren meist beseelter sind als die der wirklichen Stars.

Davon kann allerdings bei Abbamania keine Rede sein. Der falschen Agnetha hat man einen starken Delay-Effekt auf die affektiert näselnde Musicalstimme gelegt, sie singt zwar sehr gut, muss aber stimmlich leider allzu sehr beweisen, was sie kann. Es fehlt ihr einfach der Liebreiz der echten Agnetha, der Schmelz einer zarten Grundtrauer, der stets über dem hübschen Gesicht der blonden Schwedin lag. Die Annafrid-Darstellerin hingegen verkörpert die leicht biedere Natürlichkeit des Originals sehr gut.

Der Choreografie fehlt die Spannkraft, der Musik fehlen die Lust am Pop und der Glaube an Text und Melodie. So kommen die alten göttlichen Weisen recht lahm daher, wirken der angetäuschte schwedische Akzent und das devote Ehemänner-Ansingen doch sehr gewollt. Seltsame Blüten treibt der Wille zum totalen Entertainment. „Möchten sie Geld heute Abend?“, kreischt Agnetha bei der Anmoderation zu „Money Money“ ins Publikum, und ein Schokoladentalerregen geht aufs Parkett nieder. Dann müssen wieder alle aufstehen und mit den Zeigefingern in die Luft stechen. Die munteren älteren Damen beschweren sich lachend über das viele Hoch und Runter, kreischen aber immer wieder vor Vergnügen auf, während manch mitgeschleppter Lebenspartner etwas betreten mit gefalteten Händen neben der schunkelnden Abba-Hysterie ausharrt.

Diese anbiederische Animation zwischen Bierzelt und Seniorengymnasitk, diese dummen Witze … was muss das für ein Leben sein, als Abba-Darstellerin durch die Lande zu ziehen? Nach der Pause gehte s munter weiter: „SOS, Mamma Mia, Fernando, The Winner takes it all“. Die Mode, aus dem Konzert heraus Liveübertragungen per Handy zu schalten, wirkt hier besonders absurd. Oder meinen die hier vielleicht, sie wären tatsächlich bei Abba? Zuzutrauen wäre es manchem. Der Saal tobt, auch auf den Rängen geht es voll ab. In einer Luderperformance stellen Agnetha und Annafrid die Musiker im Hintergrund vor, knien sich vor sie, schütteln den Busen, wackeln mit dem Hintern, wie es die echten Schwedinnen niemals gemacht haben und hätten. „Thank you for the music“, heißt es im großen Finale, alle singen mit, und irgendwie betreten verlässt man das Theater und will schnell heimkehren, zurück nach Szene-Krähwinkel.

Fast täglich, 20 Uhr, Schiller Theater, Bismarckstraße 110, Charlottenburg