Utta und Martin Walsella

Vor der Leipziger Buchmesse: Die Fusionswelle ergreift die deutschen Großschriftsteller

„Die Utta und ich ergänzen uns großartig – auch wenn viele Kritiker das bezweifeln“

Als Martin Walser vor kurzem seine Trennung vom Suhrkamp Verlag bekannt gab, war die Überraschung perfekt. Dass er nun für Rowohlt schreiben will, ist aber nur ein Teil der Veränderung seines schriftstellerischen Markenprofils. Im Vorfeld der Leipziger Buchmesse hat der Epiker vom Bodensee auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz die ganze Wahrheit enthüllt: Er will mit Utta Danella fusionieren.

In Zeiten einer schwächelnden Lesekonjunktur ist das Zusammengehen der beiden Ausnahmeautoren auch sinnvoll: Walser will seine Produktpalette nach unten abrunden und Märkte erschließen, in denen Utta Danella aktiv ist, während die populäre Erfolgsschriftstellerin von Walsers Edelfeder-Image profitieren will. Beide Partner erhoffen sich so eine bessere Positionierung am hart umkämpften Buchmarkt. Schließlich ergänzen sich der Qualitätsromancier und die Massenanbieterin auflagenstarker Volumenmodelle in zahlreichen Gebieten. „Unsere gemeinsame Federführung könnte ungeahnte Kreativitätspotenziale freisetzen“, meint Walser in einem Beitrag für das FAZ-Feuilleton am vergangenen Samstag: „Die Utta und ich ergänzen uns nämlich großartig – auch wenn viele Kritiker das bezweifeln.“

Mit „Springflut unter dem Regenbogen“ legen die beiden Großschriftsteller den ersten Roman vor, der auf einer gemeinsamen Plattform basiert und bei dem die Synergieeffekte schon auf den ersten Seiten zu spüren sein sollen. Man darf gespannt sein, ob der Literatur-Markenanbieter Walsella damit endlich den längst verdienten Nobelpreis abräumen kann …

Zumindest dieses Problem hat Günter Grass nicht mehr. Aber wie soll es mit der stagnierenden Schreibe weitergehen, nachdem der Olymp genommen ist? Durch eine komplexe Überkreuzbeteiligung mit Peter Handke! Davon erhoffen sich beide Autoren eine stärkere Diversifizierung ihrer Literaturproduktion. Beide Marken sollen jedoch vorerst selbstständig weitergeführt werden. Der knorrige Kaschube und der sensible Österreicher setzen dabei vor allem auf Kostenvorteile beim gemeinsamen Einkauf von Textbausteinen. Bewährt sich die Zusammenarbeit, könnte eines Tages mit „Der linkshändige Butt“ der lang ersehnte Megaseller in die Buchhandlungen kommen.

Warum aber beginnt sich das Fusionskarussell jetzt auch in der Literaturszene zu drehen? In der Branche gilt eine Faustregel. Sie besagt, dass ein Schriftsteller mehr als fünf Millionen Bücher im Jahr verkaufen muss, wenn er im Zeitalter der Globalisierung seine Eigenkapitalrendite auf Dauer sichern will. Dieses Kriterium unterbietet Martin Walser mit einer runden Million Exemplare weit. Seine Schreibwerkstatt in Wasserburg ist zwar eine der traditionsreichsten deutschen Literaturmanufakturen, gilt unter Insidern aber als wahres Museum der Literaturherstellung. Die Produktivität liegt dort weit unter internationalen Standards: Mit einer mechanischen Schreibmaschine und säuberlich gespitzten Bleistiften sind heutzutage eben kaum mehr schwarze Zahlen zu schreiben.

Es wird spannend, wie sich die deutsche Literaturszene nach den jüngsten Großfusionen weiterentwickeln wird. Die meisten Schriftsteller scheinen ihr Hauptaugenmerk auf die Größe zu setzen und peilen Volumensteigerungen an, während das margenschwache Lyrikgeschäft mehr und mehr ins Abseits gedrängt wird. Zwar gibt es auch da Nischenanbieter wie Hans-Magnus Enzensberger, die sich dank erstklassiger Reimverarbeitung am Markt behaupten, aber für Mittelklasse-Lyriker wird die Luft immer dünner.

Ein abschreckendes Beispiel dafür, dass man sich bei kostspieligen Transaktionen auch verheben kann, ist die fehlgeschlagene Übernahme Durs Grünbeins durch Hera Lind. „Unsere Schreibkulturen waren einfach zu unterschiedlich“, räumt die Power-Autorin unumwunden ein. Dabei wäre die Schlappe durchaus vermeidbar gewesen. Doch der Versuch, sich durch den Erwerb des Vollblutlyrikers als literarische Vollsortimenterin am Markt zu positionieren, wurde zum Desaster. Experten werfen Hera Lind vor, die Attraktivität Grünbeins bei ihren Stammkäufern überschätzt zu haben. Außerdem stellte sich ihr Entschluss, die veraltete Modellpalette des Ausnahmelyrikers ohne stilistische Überarbeitung weiterzuführen, als falsch heraus. „Deshalb liegen seine Bücher wie Blei in den Regalen.“ Zudem reagierte Hera Lind auf die hohen Verluste bei Grünbein viel zu spät mit entsprechenden Kostensenkungsprogrammen. Mit der Konsolidierung der Schlüsselaktivitäten hofft sie die Kosten in Zukunft besser in den Griff zu bekommen und spätestens im nächsten Jahr den turn-around zu schaffen.

Literaturanalysten sind sich insgesamt einig, dass Frau Lind eine härtere Position gegenüber dem lyrischen Nischenschriftsteller einnehmen muss, will sie nicht ihr eigenes Kerngeschäft gefährden. Gelingt dies nicht, könnte das „Superweib“ bald selbst zur Übernahmekandidatin werden. Wie zu hören ist, hat Maxim Biller schon sein Interesse bekundet … RÜDIGER KIND