Klatsch und Mohn

Zum ersten Mal beleuchtet eine nicht autorisierte Unternehmensbiografie ein ebenso weltweites wie ostwestfälisches Phänomen: Bertelsmann

VON STEFFEN GRIMBERG

Als Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn Anfang 2003 seiner Familie, allen voran seiner zweite Frau Liz, die entscheidenden Positionen in den Führungsgremien des Konzerns zuwies, stutzen viele: War hier wirklich der einzige wirklich internationale Medienkonzern made in Germany auf dem Weg zurück zum Familienunternehmen? Heute ist die Antwort klar und Liz Mohn die „Königin von Gütersloh“.

Doch die überzuckerte Selbstdarstellung des Hauses Mohn, wie in Reinhard Mohns jüngstem Traktat über „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ oder Liz Mohns semi-autobiografischem Band „Liebe öffnet Herzen“ bröckelt. Der Medienjournalist Thomas Schuler hat einen Blick hinter die Kulisse der heilen Provinz am Konzernsitz im ostwestfälischen Gütersloh gewagt und bürstet die bislang überwiegend offiziöse Geschichtsschreibung über das 1835 gegründete Haus Bertelsmann gegen den Strich.

Nicht etwa Reinhard Mohn, so Schuler, habe die berühmten dezentrale Unternehmenskultur, die den einzelnen Mitarbeitern viel Verantwortung und Freiheiten überlässt erfunden – sondern bereits sein Vater, Heinrich Mohn. Und nicht die von Reinhard Mohn stets angeführten gesellschaftspolitischen Überlegungen standen dabei Pate. Sondern der schlichte Umstand, dass Mohn senior wegen seines schweren Asthmaleidens in den 1920er-Jahren den Konzern über mehrere Jahre von seinem Kursitz im Harz habe führen müssen, wohin er mit der ganzen Familie übersiedelt war.

„Die Mohns“ entzaubert die Mohns: Folgt man Schuler, gelang Reinhard Mohn zunächst quasi passiv zur heutigen Größe. Während er nach dem Krieg über den Aufstieg von Bertelsmann zum führenden Medienhaus der Bundesrepublik eher präsidierte, machten andere die Arbeit. Manager wie der schon seit 1921 im Unternehmen arbeitende Buchclub-Erfinder Fritz Wixforth. Oder Manfred Köhnlechner, der dem bislang reinen Verlagsunternehmen die Welt der elektronischen Medien erschloss. Konzerneigentümer Mohn selbst spielt erst seit den 1970er-Jahren eine wichtigere Rolle. Da war Köhnlechner längst auf dem Weg zur nächsten großen Karriere als Naturheilpapst.

Längst gegangen war da auch Reinhard Mohn selbst, ausgezogen aus seiner ersten Familie mit Frau Magdalene und den drei Kindern Johannes, Susanne und Christiane. Schon 1968 hatte er weitere Kinder – von seiner heutigen Ehefrau Liz, die im „Bertelsmann Lesering“ als Telefonistin angefangen hatte. Formaler Vater von Brigitte, Christoph und Andreas war der Lesering-Lektor Joachim Scholz, Mohn fungierte als „Onkel Reinhard“. „Andreas Mohn sagt heute, die Ehe sei eine Scheinehe gewesen. Seine Mutter habe es später ihm gegenüber zumindest so formuliert.“

Doch erst 1977 zog Mohn komplett bei Magdalene aus, zur Scheidung und Neuheirat mit Liz kam es sogar erst nach dem Tod von Mohns Mutter 1981. Solch familiäre Verwirrung wäre an sich nicht bemerkenswert, würde sie nicht in krassem Widerspruch zur Bertelsmann-Philosophie stehen, die stets mit Begriffen wie „Verantwortung“ operiert und sich moralisch höherwertig dünkt. Doch auch der menschliche Konzern aus Gütersloh, lehrt „Die Mohns“, funktioniert letztlich nach dem alten Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Beide, Liz wie Reinhardt Mohn, erwähnen in ihren Büchern und Interviews ihre ersten Ehen mit keinem Wort.

Auch Magdalene Mohn wohnt noch in Gütersloh. Und, so Schuler, sagt immer noch „wir“, wenn sie von Bertelsmann spricht.

Thomas Schuler: „Die Mohns“. Campus-Verlag, 371 Seiten, 21,99 Euro