Scherz-Offensive

Der 1. FC Köln und der VfB Stuttgart trennen sich mit einem 2:2 und sind damit gemeinsam unbesiegte Verlierer

KÖLN taz ■ Beiden hätte zum Klassenziel nur ein Sieg geholfen, Köln für die Strohhalmhoffnung auf Rettung, Stuttgart für realistische Restgedanken an die Meisterschaft. Das 2:2 nach 90 unterhaltsamen Minuten machte beide zu unbesiegten Verlierern. Und dennoch wurde wohlfeil trotzig weiter behauptet, man sei immer noch auf dem guten Weg.

Felix Magath etwa, Stuttgarts Trainer, der in der Woche schauspielerisch bemüht „Wir werden Meister“ postuliert hatte, setzt seine Scherz-Offensive fort: Sicher, bei einem Sieg wäre er „noch zuversichtlicher“ gewesen, aber man wolle weiter „Druck auf Bremen ausüben“. Auch wenn sein VfB „nicht wie eine Spitzenmannschaft aufgetreten“ war und es in der hoch überlegenen 1. Halbzeit versäumt hatte, „den Gegner zu zerstören“.

Magath ist gerüchteweise als Hitzfeld-Nachfolger beim FC Bayern im Gespräch, vielleicht lässt diese Aussicht die Maßstäbe verrutschen. Immerhin, seine Spieler redeten ihm eifrig nach. Linienmann Timo Hildebrandt: „Wir wollen Meister werden, nach wie vor, nur müssen wir uns intelligenter verhalten.“ Hakan Yakin: „Ziel ist immer noch, ja …“ Er verkniff sich das Wort. Respekt vor so viel widerständlerischer Individualität.

Stuttgarts Mühen in der Rückrunde haben viel mit Kevin Kuranyi zu tun, der auch in Köln bedauernswert schwach herumgestolpert war und jetzt seit 881 Minuten auf einen Treffer wartet. Der deutsche EM-Hoffnungsträger wählte oft zielsicher die falschen Laufwege (worauf sein Trainer die Bank mit Tritten malträtierte) und brachte kaum ein Schüsschen zustande. Im Strafraum scheinen ihm alle Instinkte abhanden gekommen. Magath, ganz Pädagoge: „Als junger Spieler muss er solche Phasen kennen lernen. Wir werden ihm helfen, wieder ein Tor zu machen.“ Und, kleiner, kluger Zusatzscherz: „Das kann er nicht, wenn er auf der Bank sitzt.“

Die Karnevalsstadt Köln hat den Scherz in den eigenen Reihen – und dieser Matthias Scherz war beteiligt an allen wichtigen Szenen. Nach zehn Minuten hatte er aus dem Nichts den Pfosten getroffen, gab aus dem Nichtser die Vorlagen zu beiden FC-Toren, vergab in den Schlussminuten zwei große Gelegenheiten und beendete die keimenden Kölner Siegeshoffnungen nur 90 Sekunden nach der 2:1-Führung per Eigentor aus dem Nichtsesten: „Aus einem Meter über das Tor zu köpfen ist doch sehr schwer“, stellte er nachher müde lächelnd fest. „Ich bin jetzt halt der Depp.“

Scherz wird einmal als maßgeblichster Akteur am Kölner Auf- und Abstieg der frühen 00er-Jahre in die Chroniken eingehen. Im Vorjahr hatte er in der Zweiten Liga Tore wie selbstverständlich fast im Doppeldutzend geschossen, aber schon beim ersten Erstligaspiel in Mönchengladbach mit einem Kopfballeigentor für die 0:1-Niederlage gesorgt und damit den Weg in den Keller vorgezeichnet.

Scherzens Coach Marcel Koller, der nach 6 Niederlagen in Folge immerhin knapp den Klubrekord von 7 (Ewald Lienen) verpasste, meinte trotzig: „Wir geben nicht auf.“ Das tut auch Wolfgang Overath („Wir müssen 90 Minuten brennen“) nach seiner Heimspielpremiere nicht. Der mit viel Geklüngel und Geklingel als „Berater des Präsidiums“ installierte Insolvenzverwalter der ablaufenden Saison hatte beim Gelegenheitszündeln seiner Elf nicht an seinem angestammten Platz gesessen. Immer wieder suchten ihn die Zuschauer nach den Toren mit Blicken: Wie mag Wolfgang Overath reagieren? Wo ist W. O. überhaupt?

Overath saß kommentarlos versteckt weiter oben und klatschte bei den Toren. Helfen kann er nicht mehr. Schlimm: Seit Overaths offiziellem Engagement kann man nach ihm nicht mehr als letztem Retter und Heilsbringer rufen, was jahrzehntelang ein beliebtes Kölner Krisenschauspiel war.

Eine Provokation für weitsichtige Kölner war das komplett schwarze VfB-Outfit. Denn manches spricht dafür, dass Alemannia Aachens „Men in Black“ im Spätsommer hier Europapokal spielen werden. Welche FC-Horrorvorstellung: Selbst ist man schmählich abgestiegen, und die verhassten Nachbarn, womöglich sogar selbst aufgerückt in Liga 1, trumpfen in der eigenen Kultstätte umjubelt auf.

BERND MÜLLENDER