: Verrückterweise ängstlich
Mit dem 1:1 zwischen Hertha BSC und Bayern München sind am Ende beide Mannschaften eigentlich gut bedient, rücken aber dem Verpassen der verbliebenen Saisonziele ein gutes Stück näher
AUS BERLIN MATTI LIESKE
Wenn zwei Fußballmannschaften, die mit sich selbst nicht im Reinen sind, gegeneinander spielen, kann man sich auf eine Portion Krampf, einen Schwung Kuriositäten sowie gesteigerten Erklärungsnotstand gefasst machen, wenn die Sache unentschieden ausgeht. Für den Krampf sorgten in der unterhaltsamen Bundesligapartie zwischen Hertha und den Bayern am Anfang die Berliner, am Ende die Münchner. Für die Kuriositäten zeigte sich Herthas Giuseppe Reina zuständig, mit seinen beiden unbeholfenen Versuchen, den Ball an Oliver Kahn vorbei ins Tor zu bugsieren.
Mag dem Münchner Keeper auch ein Gutteil seiner Furcht einflößenden Wirkung abhanden gekommen sein: Wenn ein Stürmer einsam auf ihn zustrebt, funktioniert die alte Magie immer noch. Kahn wird plötzlich riesengroß, das Tor schrumpft auf Tipp-Kick-Größe, und der Ball nimmt die Eigenschaften eines Vollgummiflummis an. Reina probierte es erst mit einem fehlgeleiteten Schlenzer, dann mit Umspielen, wobei ihm derselbe Anfängerfehler unterlief wie zuletzt Reals Raúl: Er legte sich den Ball zu weit vor. Reinas Misshelligkeiten bildeten die Quintessenz eines Spiels, in dem die Gastgeber meist besser waren, an ihren Nerven scheiterten und sogar hätten verlieren können, wäre Ze Robertos Großchance nicht von Berlins Keeper Fiedler mit unglaublichem Reflex zunichte gemacht worden.
„Ein korrektes Ergebnis“ nannte Hertha-Trainer Hans Meyer das 1:1, der Erklärungsnotstand war dennoch beidseitig. Sowohl die Münchner als auch die Berliner hätten zur Erfüllung ihrer Ambitionen dringendst einen Sieg gebraucht, doch die meiste Zeit spielte weder Bayern wie jemand, der Meister werden will, noch Hertha wie ein Team am Rande des Abstiegs. „Eine verrückterweise ängstliche Spielweise“ der Seinen hatte Meyer in der Anfangsphase beobachtet, was den Bayern Gelegenheit gab, Herthas Abwehrleute zu Spielbällen zu degradieren und schon in der 7. Minute durch Makaays gewaltigen Schuss in Führung zu gehen. Ein Ergebnis wie vergangene Saison an gleicher Stelle (3:6) schien wahrscheinlich, nur ohne den Hertha-Beitrag vor dem Doppelpunkt.
Dann jedoch vergaßen die Gäste plötzlich, wieso sie eigentlich gekommen waren, sehr zum Erstaunen ihres Trainers. „Enttäuschend“ nannte Ottmar Hitzfeld das Zurückstecken. „Die Bayern haben nichts getan, wir haben nichts von ihnen gefordert“, beschrieb Herthas Neuendorf diese Phase der Friedfertigkeit, die den Berlinern dennoch extrem gut tat. Wie bereits gegen Real Madrid zeigte sich nämlich, dass die Münchner gut aussehen, wenn sie in der Hälfte des Gegners spielen, aber sehr schlecht, wenn sich das Geschehen in die ihrige verlagert. Dann wird auch das Ballack-Dilemma deutlich, wobei es sich weniger um ein Problem des Spielers als um eines der Mannschaft handelt. Ballack kämpft, begeht, wenn er den Ball hat, kaum Fehler, ist aber viel zu wenig ins Spiel einbezogen, sobald die Münchner die Initiative abgeben. Logische Folge des Kapitulationsfußballs der Bayern war Herthas Ausgleich per Elfmeter sowie die Dominanz der Berliner nach der Pause. „Es ist lächerlich, immer über die Meisterschaft zu reden, wenn wir unsere Spiele nicht gewinnen“, grantelte Oliver Kahn zu Recht, beharrte aber weiter: „Ich spiele nicht, um Zweiter zu werden.“
Ottmar Hitzfeld schon. „Den zweiten Platz festigen“, gab er als Devise aus und resümierte: „Wir haben zwei Punkte verloren, die Berliner haben zwei Punkte verloren.“ Hertha-Manager Dieter Hoeneß war trotzdem entschlossen, der Sache Positives abzugewinnen. Schließlich habe man gezeigt, dass man mit Teams wie dem FC Bayern mithalten könne. Vergleichbares hatten die Münchner bezüglich Real Madrid geäußert, nur beweisen dürfen sie es vorerst nicht mehr. Ähnliches könnte auch für Herthas nächste Saison gelten. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Abstiegskandidaten, als die Partien nicht zu gewinnen, in denen man gut spielt. Die schlechten verliert man nämlich in jedem Fall. Wichtig seien die Partien gegen Gladbach, 1860, Kaiserslautern oder Köln, hielt Hoeneß dagegen, doch drei Punkte gegen Bayern hätten den Druck lindern können, der dann auf den Herthanern lasten wird.
Zunächst aber geht es zu einem anderen Team, das nicht mit sich im Reinen ist: Bayer Leverkusen, eine gute Mannschaft, die sich für einen Abstiegskandidaten hält. Erklärungsnöte sind vorprogrammiert.