Exekution auf Rädern

Hinrichtungswagen mit Giftspritzen gelten als „großer Sprung nach vorn“ zur humaneren Todesstrafe

VON ALBRECHT ROTHACHER
UND SVEN HANSEN

Zu den schrecklichsten Erfindungen des Zweiten Weltkriegs zählt sicher die als Entlausungswagen getarnte mobile Gaskammer. In China ist jetzt als modernes Äquivalent das Hinrichtungsmobil entwickelt worden. Vor etwas über einem Jahr, am 28. Februar 2003, begann in der südlichen Grenzprovinz Yunnan das Erprobungsstadium mit der Exekution zweier Drogenschmuggler in einem Fahrzeug der Fiat-Tochter Iveco.

Der blau-weiß gestrichene Kastenwagen mit Blaulicht auf dem Dach und Iveco-Logo am Kühler trägt die Aufschrift „Gericht“ auf Englisch und Chinesisch und ist im Inneren wie ein fahrbarer OP-Raum ausgestattet. Das Opfer wird im fensterlosen hinteren Fahrzeugteil auf eine Pritsche geschnallt, wo ihm ein Arzt eine Kanüle legt. Dann drückt ein Beamter einen Knopf und das tödliche Gift wird injiziert. In etwa einer Minute tritt der Tod ein. Auf einem Monitor neben dem Fahrersitz kann die Hinrichtung verfolgt und auf Wunsch auch auf Video aufgezeichnet werden. Anschließend können dem Hingerichteten Organe schneller und unter hygienischeren Bedingungen entnommen werden als nach den bislang üblichen öffentlichen Erschießungen auf Sportplätzen und Schießständen. Da bestand zudem das Risiko, dass Organe beschädigt werden. Chinas Regierung behauptet, Hingerichteten würden ohne deren vorherige Zustimmung keine Organe entnommen. Aber vielfache Aussagen von Hinrichtungszeugen, Ärzten und Angehörigen zeigen, dass Nieren, Lebern, Herzen und sogar Haut im großen Stil illegal entnommen werden.

„Es hat lange gedauert, das System zu perfektionieren,“ sagte der stellvertretende Strafjustizdirektor an Yunnans Obersten Gericht, Pei Jin, laut der Pekinger Zeitschrift Beijing Today, als diese vor einem Jahr als Erste über mobile Hinrichtungen per Injektion berichtete. „Wir haben viele Experimente und Tests gemacht. Wir können noch nicht sagen, dass unser System der Todesspritze gut entwickelt ist, aber es ist befriedigend“, so Pei.

18 der rund 500.000 Yuan (rund 50.000 Euro) teuren Iveco-Wagen sind seither in Yunnan im Einsatz. In der Provinz mit 36 Millionen Einwohnern ist angesichts des starken Drogenschmuggels aus dem angrenzenden Goldenen Dreieck zwischen Birma, Laos und Thailand der Hinrichtungsbedarf an vielen kleinen Grenzorten besonders hoch.

Die Hinrichtungen per Giftspritze sind laut Pei gegenüber den bisherigen Erschießungen „ein großer Sprung nach vorn“. Denn die Injektionsmethode sei weniger blutig und der Tod trete schneller ein – bei Erschießungen könne dies mehrere Minuten dauern. Deshalb seien Injektionen laut Pei humaner. Zudem sei die mobile Injektionsmethode preiswerter und es sei dabei weniger Personal nötig. So würden innerhalb des Exekutionsmobils nur vier Personen gebraucht – der Henker, je ein Vertreter des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sowie ein Arzt, dazu kämen etwa ein Dutzend Wachen für das Fahrzeug. Bei einer herkömmlichen Erschießung bedürfe es nicht nur eines mehrköpfigen Erschießungskommandos, sondern auch zahlreicher Wachen für die Hinrichtungsstätte und die Begleitung auf dem Weg zwischen Gefängnis und Exekutionsort.

Peis Urteil schloss sich inzwischen Chinas Oberster Gerichtshof an. Der erklärte im Dezember die Erprobungsphase für erfolgreich abgeschlossen und empfahl laut der Nachrichtenagentur AFP allen Provinzbehörden die Anschaffung mobiler Exekutionsstätten, „die verurteilte Kriminelle sofort nach der Urteilsverkündung hinrichten können“. Zwar haben alle größeren Städte ihre ständigen Hinrichtungsorte, doch fehlen solche in kleineren Orten. Da ist das Iveco-Exekutionsmobil praktisch. In China werden Todesurteile oft gleich nach Verkündigung vollstreckt.

In China werden die Iveco-Fahrzeuge von der Firma Naveco hergestellt, einem 300-Millionen-Dollar Gemeinschaftsunternehmen der Fiat-Tochter Iveco und der im Besitz der Provinz Jiangsu befindlichen Yuejin-Automobilgruppe. Einen Großteil der Naveco-Umsätze machen Aufträge für Polizei und Militär aus.

In Italien wurde die Verwendung von Iveco-Fahrzeugen als mobile Exekutionsstätten erst im vergangenen Dezember publik, als die dortige Sektion der Menschenrechtsorganisation amnesty international an die Öffentlichkeit ging. Fiat ist sich keiner Schuld bewusst und erklärte gegenüber italienischen Medien, über die Nutzung der Fahrzeuge nicht informiert gewesen zu sein. Angesichts der langen öffentlichen Testphase und der einschlägigen Spezifikationen der chinesischen Justiz ist dies wenig glaubwürdig.

Auf Nachfrage erklärten Vertreter des Turiner Konzerns der taz, Fiat selbst liefere keineswegs zu Hinrichtungsmobilen umgerüstete Fahrzeuge aus. „Wir stellen Fahrzeuge her“, hieß es am Telefon, „über deren Gebrauch entscheidet allein der Kunde.“ Der Kunde auch sei es in diesem Falle, der die Wagen entsprechend umgerüstet habe, „wir haben damit absolut nichts zu tun“. Andererseits aber wusste die Presseabteilung auch nichts von etwaigen Interventionen der Firmenleitung bei Chinas Regierung, um die tödliche Nutzung von Fiat-Produkten zu stoppen. Das sei doch legal gar nicht machbar, „zu einem Kunden zu gehen und ihm zu sagen, du kannst das Fahrzeug nicht in dieser oder jener Weise nutzen“.

Inzwischen hat der Fiat-Konzern Konkurrenz bekommen. In der Jangtse-Metropole Chongqing stellen die Autowerke Jinguan („Goldene Krone“) auf Basis eines Reisebusses ein Exekutionsmobil her, das größer und umfangreicher ausgestattet ist als das von Iveco und zudem über einen Leichenkasten verfügt. Die sonst auf Panzerungen für Limousinen, die Produktion von Geldtransportern, Kranken- und Polizeiwagen spezialisierte Fabrik preist auf ihrer chinesischsprachigen Homepage (www.jinguankeji.com/newproduce/excutevehicle.htm) unter anderem den Komfort des Shenglu („Heiliger Weg“) genannten acht Meter langen Fahrzeugs an. Grundlage ist der Nachbau eines Coaster-Busses von Toyota durch Chinas größten Bushersteller King Long aus Xiamen. Wie das lokale Wirtschaftsblatt Chongqing Shangbao kürzlich berichtete, äußerten bereits 615 Volksgerichte aus dem ganzen Land Interesse an Jinguans Exekutionsmobil „Heiliger Weg“.

MITARBEIT:
MICHAEL BRAUN, SIMONE LANG