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Archiv-Artikel

Krabbelgruppe für Genies

Remscheid will auffällig Hochbegabte bereits im Vorschulalter fördern. Eine Kindertagesstätte bildet jetzt Erzieherinnen für ein integratives Modell aus. „Mit Elitenbildung hat dies nichts zu tun“

„Es geht nicht um Elitenzüchtung. Ein Hochbegabter kann auch ein begnadeter Gärtner werden“

VON NATALIE WIESMANN

Hochbegabte können gar nicht früh genug gefördert werden, findet die Stadt Remscheid. Eine städtische Kindertagesstätte will sich jetzt mit dem Modell einer „integrierten Hochbegabtenförderung“ profilieren. Fünf pädagogische Kräfte werden derzeit dafür ausgebildet. Dass Remscheid sich eine solche Ausbildung leistet, ist durchaus ungewöhnlich. Ausbilderin Hanna Vock bietet zwar mit steigender Nachfrage Fortbildungen für ErzieherInnen an, „dass jedoch eine ganze öffentliche Einrichtung mitzieht, ist in NRW einmalig“, so Vock.

Durch Beobachtung sollen diejenigen identifiziert werden, die einem speziellen Förderprogramm bedürfen. „Dies darf nicht eine Sache des Geldbeutels sein“, sagt die gelernte Erzieherin. Bisher sei die Förderung in diesem Alter in privater Hand. In öffentlichen Einrichtungen könnten beispielsweise besonders begabte Migrantenkinder entdeckt werden, die in ihrem Umfeld dafür keine Förderer haben. Diese Kinder will man nicht in Sondergruppen stecken, sondern integrativ fördern.

140.000 Euro kostet die zweieinhalbjährige Ausbildung der fünf Erzieherinnen. Sie besteht aus Blockseminaren, einem Selbststudium und einem praktischen Teil. Peter Nowack, Abteilungsleiter des Fachbereichs Jugend und Soziales und Wohnen der Stadtverwaltung Remscheid, findet die Investition zukunftsweisend: „Wenn das Modell erfolgreich ist, wollen wir es auf andere Stätten ausweiten“. Auch das NRW Schulministerium begrüßt ein solches Modellprojekt: „Das kann man nur positiv bewerten“, so Sprecherin Nina Schmidt. Und beruft sich dabei auf eine Bildungsvereinbarung zwischen dem Land und den Trägern vor Ort: Jedes Kind soll nach seinen Vorraussetzungen gefördert werden.

Erprobt werden die frisch gewonnen Kenntnisse der Erzieherinnen an den bisher vier als hochbegabt identifizierten Kindern in der Kindertagesstätte Sedanstraße. GEW-Vorsitzender Jürgen Gottmann ist skeptisch: Er sei grundsätzlich dafür, dass bei Kindern im Vorschulalter „jeder so gefördert wird, dass das Bestmögliche aus ihm rausgeholt wird.“ Aber ohne ins andere Extrem zu verfallen: „Wir sollten keine Elitegesellschaft züchten“, so Gottmann.

Mit Elitenbildung hat dies nichts zu tun“, betont eine der beteiligten Erzieherinnen, Silvia Hempel. Während man der Problematik von minderbegabten Kindern mit Förderung begegne, würde die Notlage der besonders Begabten völlig vernachlässigt. Die Unterforderung führe bei den Betroffenen oft zu psychischen Störungen: „Sie werden depressiv oder neigen zu Clownereien“, so Hempel. Dies bestätigt auch Karsten Otto, Leiter der Bundesgeschäftsstelle Hochbegabtenförderung e.V. in Bochum. „Die Kinder werden oft von ihren Altersgenossen als ‚anders‘ empfunden und das führt in die Selbstisolation.“ Der privat organisierte Verein bietet für Kinder ab fünf Jahren mit Nachweis eines Intelligenzquotienten von 130 – das sind ungefähr 2 Prozent eines Jahrgangs – ein Programm von Astronomie bis Japanisch an.

Doch ein Problem gibt es bei den ganz kleinen Genies: Man kann ihre Hochbegabung nicht richtig dingfest machen: „IQ-Tests haben erst ab fünf Jahren Aussagekraft“, so Otto. Aber das sieht Ausbilderin Vock anders: Man könne an wenigen Aussagen eines Vorschulkindes bereits Hochbegabung feststellen. Was aber nicht heiße, dass man Eliten heranzüchten wolle: Ein hochbegabtes Kind kann sich immer noch entscheiden, ein begnadeter Gärtner zu werden.“