: Die ausgezeichnete Ruhe ist in Gefahr
Auf 325 Kilometern wälzt sich der Fluss durch Auen, Wiesen und Seen. Jetzt küren Naturfreunde und Angler die Havel zum „Fluss des Jahres“. Sie machen damit auf die Gefährdung des Gewässers aufmerksam, das für große Schiffe ausgebaggert wird
VON RICHARD ROTHER
Eigentlich haben Berlin und Brandenburg nicht viel zu bieten: keinen vernünftigen Flughafen, keinen vernünftigen Fußballverein und kein vernünftiges Bier – von der Wirtschaft und den öden Sandböden ganz zu schweigen. Aber eines haben Berliner und Brandenburger genug: Wasser. Und ein berühmtes dazu. Die Havel wurde gestern zur „Flusslandschaft des Jahres“ gekürt. Initiator der Auszeichnung: Angler und Naturfreunde.
Immerhin 325 Kilomter weit wälzt sich die Havel, von der Mecklenburgischen Seeenplatte im Norden kommend, durch den Nordosten Deutschlands, überwiegend durch Berlin und Brandenburg, bevor sie in Sachsen-Anhalt in die Elbe mündet. Dabei legt die Havel von ihrem Quellort, 63 Meter über dem Meeresspiegel, nur eine Höhendifferenz von 41 Metern zurück. Die Havel ist damit ein äußerst gemächlich dahinfließendender Tieflandstrom, sie überschwemmt Wiesen, durchfließt zahlreiche Seen, bietet Fischen und Vögeln Lebensraum. Bei Berliner und Brandenburger Anglern beliebt sind vor allem Hecht, Zander und Aal. Und etwas abseits vom Fluss locken Bockwindmühlen, Heuhotels und Blütenfeste tausende Touristen.
Aber die Idylle ist bedroht. Mit dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 17 soll nämlich die Havel ausgebaut, das heißt ausgebaggert werden, damit auch größere Containerschiffe auf ihr herumschwimmen können. Helmut Horst, Projektleiter für die Flusslandschaft des Jahres 2004/2005: „Die Havel dient dem Menschen als Nahrungsquelle und Fischern als Existenzgrundlage. Das wichtigste Gewerbe aber ist der Tourismus, der unter dem weiteren Havelausbau zu leiden hätte.“ Das Projekt Flusslandschaft solle dazu beitragen, den weiteren Ausbau der Havel zu überdenken.
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert den Ausbau der mittleren Havel zwischen Potsdam und Brandenburg. Dafür gebe es keinen Bedarf, so BUND-Landeschef Burkhard Voß. Schon der jetzige Stand des Ausbaus sichere einen wirtschaftlichen Betrieb.
Versöhnliche Töne schlägt der Brandenburger Umweltminister Wolfgang Birthler (SPD) an. Er mahnt, Schönheit und Vielfalt der einzigartigen Flusslandschaft zu erhalten. „Die touristische Entwicklung einschließlich der Schifffahrt und die Renaturierungskonzepte schließen sich nicht aus, wenn das nötige Maß eingehalten wird“, so Birthler. Birthler dürfte dabei Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) im Hinterkopf haben. Ausdrückliches Ziel der Bundesregierung sei es, „zur Entlastung der Umwelt und Verhinderung von Staus Güterverkehr von der Straße auch auf die Wasserstraße zu verlagern“, begründet Stolpe den Ausbau der Wasserwege zwischen Hannover und Berlin.
Dabei ist Havel nicht gleich Havel: Oberhalb Berlins ist sie nur ein kleines Flüsschen, dessen Wasser kritisch belastet ist. Erst in Berlin wird die Havel durch die Aufnahme der Spree zu einem richtigen Fluss. Der allerdings ist von Potsdam bis Ketzin stark verschmutzt, während er von Ketzin bis zur Elbmündung wiederum kritisch belastet ist. Der Brandenburger Umweltminister Birthler ist dennoch optimistisch, „dass spätestens in zwanzig Jahren die Störe den Schiffen in Richtung Berlin hinterherziehen, so wie noch vor hundert Jahren.“ Die Frage ist nur, welchen.