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Archiv-Artikel

Europas Rauchware

Italiener kennen keine EmissionenAUS ROM MICHAEL BRAUN

Emissionshandel? In Italien ist das ein Fremdwort. Es gibt keinen italienischen Begriff dafür: Die Experten reden von „emission trading“ – und die Laien haben keinen blassen Schimmer, was damit gemeint sein könnte. Es gibt nicht die Spur einer öffentlichen Debatte, weder darüber, wie die Regierung die EU-Richtlinie zum Handel mit Verschmutzungsrechten umsetzen will, noch, ob die Industrie dagegen protestiert.

„Bisher ist die Regierung schlicht untätig geblieben“, bilanziert Duccio Bianchi vom Umweltverband Legambiente. „Noch weiß niemand, was sie vorhat.“ Hinter der Untätigkeit vermuten die Umweltschützer Methode. Der „Mythos eines umweltpolitisch virtuosen Italien“ werde von der Regierung gepflegt, eines Italien, das deshalb auch keinen Handlungsbedarf habe, um die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren.

Auf den ersten Blick steht das Land in der Tat recht gut da. Während in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung gut 9 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Gase jährlich die Luft verdrecken, sind es in Italien nur 7,3 Millionen Tonnen. Anders als Deutschland aber, das seine Schadstoffausbringung binnen zehn Jahren um 18 Prozent reduziert hat, erlebte Italien eine Steigerung um 7 Prozent – und das, obwohl es sich im Kioto-Protokoll zu einer Reduzierung um 6,5 Prozent bis 2010 verpflichtet hat.

Die Regierung Berlusconi aber hat den weitgehenden Ausstieg aus einer aktiven Klimapolitik vollzogen. Förderung alternativer Energien? Neue Anreize zur Verringerung der Schadstoffausbringung? Fehlanzeige. Die Industrie kann in der Tat gelassen bleiben. Es steht kaum zu erwarten, dass der italienische Umweltminister die Zuteilung von Verschmutzungsrechten nutzen will, um dafür zu sorgen, dass Italien den Trend umkehrt und endlich die Ausbringung von Treibhausgasen reduziert.

Die Spanier heizen fröhlich weiter

AUS MADRID REINER WANDLER

Spanien schlägt alle Warnungen in den Wind. Zwischen 8,5 und 9,5 Milliarden Euro werden die CO2-Emissionen in den nächsten zehn Jahren kosten, wenn die EU am 1. Januar 2005 ihre Klimaschutzpolitik voll umsetzt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Auftrag von Iberdrola, dem zweitgrößten Energiekonzern des Landes, erstellt wurde. Spanien hätte im Zeitraum von 1990 bis 2010 den Kohlendioxidausstoß um 15 Prozent steigern dürfen. Doch bereits heute liegen die Emissionen 38 Prozent über dem Wert von 1990. Alleine im Jahr 2002 stiegen sie um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Sollte diese Entwicklung so weitergehen, wird Spanien am Ende des Jahrzehnts 408 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Das wäre 77 Millionen Tonnen mehr als vom Kioto-Protokoll vorgesehen. Spanien ist damit das europäische Land, das am meisten gegen den Klimaschutz verstößt. In keinem Industrieland wächst der CO2-Ausstoß so stark wie in Spanien. Selbst die USA liegen mit einer Steigerung seit 1990 von 16 Prozent weit hinter den 38 Prozent Spaniens.

Schuld an dieser Entwicklung ist neben veralteten Kraftwerken und Industrieanlagen auch der steigende Stromverbrauch in Privathaushalten. Klimaanlagen gehören heute bei Neubauten zur Grundausstattung. Außerdem nimmt der Privatverkehr in Spanien ständig zu. In keinem EU-Land werden so viele Pkws verkauft wie hier, während gleichzeitig der Bahnverkehr ausgedünnt wird.

Iberdrola befürchtet, dass die spanische Wirtschaft durch das Kaufen von Emissionsrechte an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Spaniens Politik freilich hat das bisher nicht so gesehen. Egal ob die jetzt abgewählte konservative Volkspartei (PP) von José María Aznar oder dessen Vorgänger, der Sozialist Felipe González – alle kannten nur ein Motto: Wachstum um jeden Preis. Der Umweltschutz musste hintenanstehen. Unter González gab es nicht einmal ein Umweltministerium.

Der künftige sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero widmete dem Kioto-Protokoll denn auch in seinem Wahlprogramm nur wenig Platz: ganze zehn Zeilen auf 206 Seiten. „Die Auflagen des Protokolls erfüllen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Industrie zu gefährden“, verspricht Zapatero dort. Ein Satz, wie er auch bei den Konservativen zu finden ist.

Cristina Narbona, Umweltspezialistin in Diensten des künftigen spanischen Premiers, weiß, dass es mit Energiesparen alleine nicht getan ist. Sie möchte einen „Kurswechsel“, was Spaniens Wirtschaft angeht. Das Wachstum, das sich fast ausschließlich auf die Bauwirtschaft stützt, müsse künftig verstärkt Produkt von „Erneuerung, technischen Entwicklungen und Forschung“ sein. Das wird nicht einfach. Spanien befindet sich am unteren Ende der europäischen Statistik der Ausgaben für Forschung und Technologie.

Österreich lässt die Industrie in Ruhe

AUS WIEN RALF LEONHARD

„Der Weg zum ‚Kioto-Ziel‘ darf nicht weiteres Wirtschaftswachstum, Investitionen und damit zusätzliche Arbeitsplätze verhindern“. So erklärte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein im Dezember das bevorstehende Abrücken Österreichs von den selbst gesteckten Zielen. Energiewirtschaft und Industrie, die durch eine Absenkung der Körperschaftssteuer von 34 auf 25 Prozent zum Hauptprofiteur einer Steuerreform wird, sollen durch großzügige Zuteilung von Emissionszertifikaten praktisch aus der Pflicht genommen werden. Zwar müssen sie bis 2010 die Verminderung des Ausstoßes um 3,3 Millionen Tonnen Treibhausgase nachweisen. Doch gleichzeitig wird der Basiswert um 3,7 Millionen Tonnen erhöht. Während also der Eindruck von Einsparungen erweckt werden soll, dürfen die Fabriken in sechs Jahren 400.000 Tonnen mehr als heute an die Umwelt abgeben.

Rund 240 Anlagen mit insgesamt 86.000 Arbeitnehmern sind österreichweit in den Emissionshandel einbezogen. Sie blasen jährlich über 30 Millionen Tonnen CO2 in die Luft, das sind rund 37 Prozent der österreichischen Kioto-relevanten Treibhausgasmengen. Sie sollen nach Österreichs Allokationsplan die begehrten Verschmutzungsrechte gratis zugeteilt bekommen. Dadurch will man vor allem Neuinvestitionen fördern.

Österreich, das vor einigen Jahren noch als Umweltmusterland galt, ist in Europa weit nach hinten gerutscht. 13 Prozent CO2-Reduktion wurden bis 2010 versprochen. Geworden ist daraus ein Zuwachs von 15 Prozent. Und wenn es nach dem Wirtschaftsminister geht, der abwarten will, bis auch die USA und Russland auf Kioto-Linie einschwenken, dann werden die Emissionen weiter zunehmen.

Der derzeitige Vorschlag für den Emissionshandel ist aus Sichtder Umweltorganisation Global 2000 „ein Kniefall vor den Interessen der Industrie und der Energiewirtschaft“. Die Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Emissionszertifikate sei ein Trick, um den Anschein von Einsparungen zu wahren. Tatsächlich bedeute die Regelung einen Freibrief für Industrie- und Energiewirtschaft.

Briten wollen Kioto noch übertrumpfen

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

In Großbritannien wird bereits mit heißer Luft gehandelt – wenn auch nur als Pilotprojekt. Im April 2003 boten 35 Unternehmen (unter ihnen etwa BP und Shell, nicht aber die Stromerzeuger) um einen Finanztopf, den die Regierung für Maßnahmen zur CO2-Reduktion ausgesetzt hatte. Sie erklärten, zu welchem Preis sie zu Investitionen in den Klimaschutz bereit wären. Wenn die Unternehmen 2006 ihr Ziel erreichen, winken ihnen insgesamt 215 Millionen britische Pfund.

Doch mit dem direkten Geldsegen ist es dann vorbei. 2005 werden alle britischen Unternehmen am europäischen Emissionshandel teilnehmen und ihre Lizenzen nur noch mit anderen Firmen handeln können. Der nationale Allokationsplan, der in Deutschland so umstritten ist, wird in den nächsten Tagen in London vorgestellt.

Gundsätzlich steht die britische Industrie der Idee des Emissionshandels positiv gegenüber. Die nationale Industrievereinigung CBI erklärte schon vor Jahren, Emissionshandel sei ein „kosteneffektiver Weg, um Treibhausgase zu reduzieren“. Britische Unternehmen, heißt es, stünden zu ihrer Verpflichtung, die Kioto-Ziele zu erreichen.

Die Regierung Blair allerdings will den Ausstoß von CO2 sogar noch stärker reduzieren als in dem Klimaschutzprotokoll festgeschrieben. 20 Prozent statt der vereinbarten 12,5 Prozent. Damit nun ist die Industrie gar nicht einverstanden. Für die Wettbewerbsfähigkeit wäre das glatter Selbstmord, heißt es. Die Strompreise würden bis zum Jahr 2010 um 80 Prozent steigen. Und Kohlekraftwerke, die immerhin noch 35 Prozent des britischen Stroms liefern, müssten schließen. „Damit laufen wir Gefahr, britische Arbeitsplätze auf dem Altar grüner Glaubwürdigkeit zu opfern“, sagt Digby Jones, der Direktor des Unternehmerverbandes.

Die Stromindustrie soll die Hauptlast der Kohlendioxidreduzierung tragen und, wenn es nach der Regierung geht, 1,5 Millionen Tonnen mehr reduzieren als bisher festgelegt. Die Automobilfirmen, von denen keine mehr in britischer Hand ist, drohen mit Abwanderung in andere europäische Länder, wo die Regelungen lockerer gehandhabt werden. Die Regierung räumt zwar ein, dass es bei den Verhandlungen noch Spielraum gebe, doch am Prinzip der zwanzigprozentigen Reduzierung will sie nicht rütteln.

Die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth prophezeit, dass die Stromindustrie bis 2008 zusätzlich 16 Prozent, Kohlekraftwerke sogar 23 Prozent einsparen müssen. Der britische Energieminister Stephen Timms ist zuversichtlich. „Wir werden die führende Rolle Großbritanniens beim Kampf gegen Klimaveränderungen beibehalten und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit und das Stromangebot sichern“, sagt er.