In fremde Leben hineinpfuschen

Regisseurin Jorinde Dröse liebt die Herausforderung: Sie sucht in ihrer Diplom-Inszenierung auf Kampnagel Sibylle Bergs „Helges Leben“ aufzupeppen. Und widmet sich der Frage nach – mangels Energie – unverwirklichten Träumen

Dieses Stück ist nur mäßig gelungen. Traurig, das gleich zu Beginn so eindeutig sagen zu müssen. Und gemeint ist, wohlgemerkt, das Stück von Sybille Berg – und nicht etwa die noch ausstehende Inszenierung von Jorinde Dröse, die mit Helges Leben auf Kampnagel ihr Diplom vorlegt. Die junge Regisseurin ist frohen Mutes. Den braucht sie auch, weil Helges Leben mittlerweile, seziert Dröse kühl, zum „Stück der tausend Fragen“ geworden ist. Zum Beispiel danach, wie man einen so belanglos und berechenbar dahinplätschernden Berg-Text in Spannung biegt. Auch die vielen brav übereinander gelegten Symbol-Ebenen, die die Autorin geflissentlich eingewoben hat, müssen aufgerauht werden. Einige davon, läßt die Regisseurin durchblicken, seien auch ihr zu banal.

Bisher hat die Jungregisseurin vom Regie-Studiengang an der Universität Hamburg ein feinfühliges Händchen bewiesen. Gerne setzt sie dem etablierten Stück-Gut neu erfundene Handlungen oder Personen entgegen. So strich sie große Teile aus Shakespeares Sommernachtstraum für eine träumerische Inszenierung im Thalia an der Gaußstraße. Noch während des Studiums arbeitete sie dort und in Weimar; für das Diplom kehrt sie jetzt vorläufig zum freien Theater zurück.

Aus Helges Leben quillt an allen Ecken und Enden der Schmalz. Helges Leben ist so, wie unser eigenes nie sein soll. Helges Leben ist wie das Leben langweiliger Eltern, Ex-Mitschüler oder Nachbarn, die wir nicht kennen, deren Biographien erkennbar bodenständiger geblieben sind als unsere.

Helge wird von lieblosen Eltern geboren, Vater: Fußball, Mutter: Hausfrau. Sein Leben wird von langfingriger Angst domestiziert, die erst – ach, Gottchen! – durch die Liebe stirbt. In Helges „ganz normalem kleinen Menschenleben“ ist jeder Tag wie jeder Tag, heißt es in Bergs Kollumnenprosa. Es ruft: „Ich habe ein anderes Dasein verdient.“ Und brüllt: „Ich hätte gerne mal ein angenehmes Gefühl.“ Es bekommt zu hören: „Du hast nicht die Berechtigung für eine Müdigkeit erworben, noch nicht einmal für einen ordentlichen Traum.“ Eine Katharsis spart Sybille Berg aus. Wenigstens das ist realistisch. Und traurig.

Regisseurin Jorinde Dröse allerdings scheint ihr Handwerk zu verstehen. Sie spricht vom Scheitern der Personen, während sie für ihren Diplom-Abschluss probt. Was verhindert das Ausleben von Träumen? Warum fehlt die Energie? Warum ist es so viel leichter, in die Leben anderer Leute hineinzupfuschen als in das eigene? Nur drei von tausend Fragen. Frau Dröse, setzen Sie die Kettensäge an! Ohne Rücksicht auf Verluste.

Christian T. Schön

Premiere: Sa, 24.5., 19.30 Uhr, Kampnagel