: Bremen als Stadt in Niedersachsen
Bremens Finanzsenator hat Gutachten zu den Finanzperspektiven der Stadtstaaten bestellt. In Berlin werden sie vorgestellt. Fazit: Die Sanierung ist auch in 20 Jahren nicht zu schaffen. Bremen braucht auf Dauer 700 Millionen Euro mehr pro Jahr
Bremen taz ■ Vor wenigen Tagen hat eine hochkarätige Verhandlungskommission aus Bremen mit Vertretern des Kanzleramtes und der mächtigen Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks über die Finanzausstattung des Städtestaates Bremen nach dem Ende der Sanierungszahlungen verhandelt. Mitteilenswerte Ergebnisse gab es bisher nicht in dem Bemühen, den „Kanzlerbrief“ in bares Geld umzumünzen. Am Donnerstag nun hat Bremens Finanzsenator Ulrich Nußbaum zu einer hochkarätigen Konferenz in die Bremer Vertretung in Berlin eingeladen, bei der es um grundsätzliche Fragen der Finanzausstattung der Stadtstaaten geht – theoretische Diskussionen für den Fall, dass der Kanzlerbrief nur eine „good will-Erklärung“ ist und mehr nicht, wie der Bremer Bundestagsabgeordnete Volker Kröning (SPD) mehrfach formuliert hat. Koordiniert von dem früheren Staatsrat Frank Haller, der vor zehn Jahren das Sanierungsprogramm maßgeblich mitformuliert hat und heute mit seinem „BAW-Institut für Wirtschaftsforschung“ die Evaluation leitet, haben verschiedene Wissenschaftler die Grundfragen der Finanzbeziehungen der Länder untersucht. Deren Gutachten werden heute in Berlin vorgestellt.
Der Ökonom Wolfgang Kitterer von der Uni Köln hat grundsätzlich die Alternativen zum derzeitigen Finanzausgleich dargestellt. Bei einer sachgerechten Diagnose einer „Haushaltsnotlage“ (nach dem von der OECD entwickelten Konzept der „Nachhaltigkeitslücke“) müsse man zu dem Schluss kommen, schreibt er, dass eine Sanierung des Bremer Haushaltes „innerhalb der nächsten 20 Jahre nur sehr schwer zu erreichen“ sein wird.
Kitterer spielt mehrere Modelle durch, wie die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ländern so geregelt werden könnte, dass die Effekte für die Stadtstaaten besser ausfallen. Solche Gedanken hatte sich jüngst auch der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel gemacht (www.mehr-dazu.de). „Politisch kaum durchsetzbar“ sind solche Gedankenmodelle allerdings, weil es zu viele Verlierer geben würde bei den anderen Bundesländern, deren Zustimmung aber erforderlich wäre.
Und nicht einmal die Stadtstaaten streiten derzeit gemeinsam für ihre Interessen. Die SPD-Fraktion hat dies schmerzlich erfahren, als sie jüngst bei einer Klausurtagung in Potsdam den Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin zum Gastvortrag einlud. Der machte mit einem Folien-Vortrag die Bremer Sanierungsstrategie rhetorisch gekonnt nieder. Die Stimmung unter den Bremer Genossen war danach deutlich gedämpft.
Gutachter Kitterer untersucht im Auftrag des Bremer Finanzsenators vor allem einen Vorschlag, den der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzminsteriums gemacht hat. Die Grundidee: Für die besondere Einwohnergewichtung der Stadtstaaten sollen nicht mehr die fernen Bundesländer zahlen. Stattdessen sollen die umliegenden Bundesländer, die den Nutzen der oberzentralen Einrichtungen haben, die Stadtstaaten genauso ausstatten wie ihre eigenen Großstädte im kommunalen Finanzausgleich. Konkret: Was hätte Bremen, wenn es wie Hannover gestellt wäre? Unter dem Strich gut 700 Euro mehr pro Kopf, insgesamt 472 Millionen Euro, schreibt Kitterer, der Bremerhaven einrechnet. Niedersachsen hätte 75 Euro weniger pro Kopf.
Das Modell wird den streitbaren Berliner Finanzsenator Sarrazin, der auch in die Bremer Vertretung kommen will, erneut provozieren: Berlin-Brandenburg würde insgesamt zwei Milliarden Euro verlieren, der Gewinner unter den anderen Bundesländern wäre Hessen.
700 Euro mehr pro Kopf würden nach dem anderen Gutachten der Prognos-AG aber nicht ausreichen. „Um einen Anschluss Bremens an die Finanzsituation der Großstädte zu erreichen“, benötige Bremen über 1.000 Euro pro Nase, als gut 700 Millionen Euro im Jahr mehr als bisher, haben die Prognos-Gutachter ausgerechnet.
Der Bundesfinanzminister, der im Zweifelsfall die Zeche zahlen müsste, wird zu der Vorstellung der Gutachten in der Bremer Vertretung nicht erwartet.
Klaus Wolschner