: Bonuspunkte im Vielseherprogramm
Seit Jahren arbeiten die Kulturstaatsminister an der Reform des Filmförderungsgesetzes. Dabei sind die Kriterien für die Unterstützungswürdigkeit immer noch nicht nachvollziehbar oder transparent geworden. Soll es um Standortvorteile gehen oder um den gesellschaftlichen Stellenwert im Kino?
von DIETMAR KAMMERER
Kultur: einer der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind.(Niklas Luhmann)
Manchmal muss man etwas genauer hinschauen, gerade wenn es ums Kino geht. In der Begründung zum „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes“ heißt es ganz weit oben: „Die Filmpolitik des Bundes zielt auf die Stärkung des deutschen Films als Kulturwirtschaftsgut im In- und Ausland.“ Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Kulturwirtschaftsgut“, das Wort, das in keinem Lexikon auftaucht, würde Christina Weiss natürlich niemals in den Mund nehmen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, deren Ressort für den Entwurf verantwortlich ist, spricht in Interviews und auf öffentlichen Ansprachen lieber verkürzend vom „Kulturgut Film“, das spart Zeit und lästige Nachfragen.
Was die Reform, die Anfang 2004 in Kraft treten soll, für die kulturellen Belange des Films tatsächlich bringen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt, nämlich im Gesetzestext. Der legt fest, dass für „programmfüllende Filme“ die Zuschauerschwelle, ab der erst Fördergelder ausbezahlt werden, von bislang 100.000 auf 150.000 heraufgesetzt wird. Für Dokumentar-, Kinder- und Erstlingsfilme wird die Zahl glatt verdoppelt. Sie werden künftig 50.000 zahlende Besucher vorweisen müssen. Im Einleitungstext heißt es dazu lapidar: „Alternativen: keine.“ Die Botschaft ist klar: „Lieber eine Produktion weniger“, so Staatsministerin Weiss, die stattdessen „Publikumswirksamkeit“ und „Marktposition“ gestärkt sehen möchte. Das Schröder’sche Drohwort vom „Fördern und Fordern“ soll auch die Kreativen in der Filmbranche nicht verschonen.
Weil man sich aber an eine Reform, mithin das Unbekannte und Überraschende wagen möchte, soll auch die Kultur nicht gar zu kurz kommen. Dafür sorgt im Entwurf die „kriterienbasierte Referenzfilmförderung“. Die Idee stammt von Weiss’ Vorgänger Julian Nida-Rümelin. Demnach werden den Zuschauerzahlen zwei weitere Kriterien beiseite gestellt: Festivaleinladungen und -auszeichnungen. Je mehr und je bedeutender diese Referenzen sind, desto mehr Förderpunkte bekommt ein Film zugesprochen, und nach denen richtet sich die Höhe der Geldzuweisung. Nicht nur Leben, auch Filmen bringt jetzt Punkte, ein Genuss, in den bisher nur Dauershopper und Vielflieger kamen. Schöne Idee, aber es bleibt ein Haken. Der zusätzliche Geldsegen gilt nur für die Filme, die ein Mindest-Zuschauersoll erreichen.
Für Martin Hagemann von der Produktionsfirma Zero-Film („Black Box BRD“) führt diese Koppelung das ganze Kriteriensystem schlicht „ad absurdum“. Im Endeffekt, so prognostiziert er, werde es mehr Geld für weniger Filme geben. Wie andere Kritiker des neuen Fördersystems wünscht er sich sogar, die Publikumsschwelle gleich ganz abzuschaffen: „Im Prinzip sollte die Filmförderung ab dem ersten Zuschauer greifen.“ In Frankreich, der Schweiz und in Österreich ist das so üblich. Eine ähnliche Diagnose stellt Björn Koll von der Edition Salzgeber. „Für die Großen wird es einfacher, für die Kleinen noch schwieriger.“ Die neuen Kriterien seien zwar „nett gedacht“, aber schließlich werde deren Gewichtung immer noch vom Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt (FFA) bestimmt. „Da müsste man schon sehr viel Vertrauen haben, dass da irgendwelche sinnvollen Kriterien festgelegt werden. Das begreife ich eher als eine Verhinderungsgeschichte.“
Selbstverständlich steht jedem Filmemacher und Produzenten der Ehrgeiz frei, kulturellen Anspruch mit ökonomischem Erfolg verbinden zu wollen. Wer will, der kann. Wer nicht will, sollte aber auch nicht müssen. Also, noch mal von vorn: Was fehlt dem deutschen Film?
Mehr Geld? Die Novelle sieht vor, die Mittel der FFA um rund 26 Millionen Euro zu erhöhen, vor allem durch eine Anhebung der Beiträge der Fernsehveranstalter. Während die öffentlich-rechtlichen zugesagt haben, ihren Einsatz zu verdoppeln, wollen die privaten Sender in Sachmitteln bezahlen, d. h. Sendezeiten für Trailer bereitstellen. Schon fühlen sich die Kinobetreiber benachteiligt, die ebenfalls tiefer in die Tasche greifen müssen. Schließlich zeigen sie ebenfalls Werbefilme, nur werden die nicht angerechnet. Das es mit mehr Geld allein nicht getan ist, dürfte allen Beteiligten klar sein. 212 Millionen Euro, das ist die Summe, die Bund und Länder vergangenes Jahr für sämtliche Fördermaßnahmen (Produktions-, Kino-, Verleihförderung, Preise und Stipendien) an den deutschen Film verteilt haben. Das ist in etwa auch die Summe, die „Matrix: Reloaded“ an Produktionsgeldern verschlungen hat.
Mehr Frankreich? Die Filmförderung des Nachbarlandes, wo in Sachen Kulturpolitik ja angeblich alles besser läuft, wird häufig und gerne als Vorbild herangezogen. Dort werden Kinobetreiber und vor allem die Sender zu erheblich höheren Abgaben gezwungen, und nationalen Produkten wird per Gesetz der Weg in die Sender und Kinos freigeräumt. Quoten und Schutzzäune für den deutschen Film? Spätestens seit der schlimmen „Mehr deutscher Pop für deutsche Radios“-Diskussion kann man sich denken, wohin so eine Debatte hierzulande laufen wird: Das artet bestenfalls in eklige Standortdebatten aus, wenn nicht in Schlimmeres. Denn die strategische Rede vom Film als „Kulturgut“ lässt sich ja bekanntermaßen in gänzlich unterschiedliche Richtungen biegen. Man kann sie verstehen als: Wir pfeifen auf Markttauglichkeit und Kommerz. Aber genauso als: nicht dieser Schund aus dem Land, wo die Kriegstreiber hocken. Als Abwehrmarke vor kulturfremden Einflüssen und zur Bewahrung eines „Deutschen Films“, was immer das sein soll. Die Antwort darauf kann nur lauten: „Identity kills.“ So der Titel eines Filmes von Sören Voigt, der es ohne einen Cent Fördermittel immerhin ins diesjährige Forum der Berlinale geschafft hat.
Mehr Glamour? Den soll nach allgemeiner Ansicht die noch zu gründende Deutsche Filmakademie übernehmen. Vorbild ist die „American Academy“, die nicht nur den Oscar vergibt, sondern sich vor allem um Pflege und Erhalt des Filmbestandes kümmert, mit einem Etat, von dem die Filmmuseen zwischen Berlin und Frankfurt nur träumen können. Davon redet hier allerdings niemand, denn die Diskussion um Für oder Wider einer Filmakademie zerreibt sich an der Eichinger-Idee, ob sie den Deutschen Filmpreis, immerhin die höchstdotierte Auszeichnung und eine der wenigen Kulturauszeichnungen, die der Staat noch zu verleihen hat, vergeben kann oder nicht.
Mehr Gremien? Etwa einen „Deutschen Filmrat“, in dem neben Politikern, Vertretern der Sender und der Förderanstalten kein Einziger von der kreativen Seite sitzen soll? Das klingt nach einem Vorschlag im Sinne von Christoph Schlingensief. Der wünscht sich „Förderinstanzen, die befreit sind von denen, die wissen, wie’s geht“. Auch eine Antwort. Über einen Mangel an Gremien und Bürokratie hat sich bislang jedenfalls noch niemand beschwert. Wenn man Peter Rommel, den Produzenten von „Halbe Treppe“ befragt: Der hat nicht aus Selbstlosigkeit auf Fördermittel verzichtet, sondern weil die bürokratischen Auflagen, die Rechtfertigungs- und Bittstellerrundgänge durch die Instanzen jeglichen kreativen Impuls im Keim erstickt hätten.
Mehr Ideen. Das sowieso.
Wenn es bei der Verteilung des Geldsegens schon streng wirtschaftlich zugehen soll, warum wird als Berechnungsgrundlage nicht das Verhältnis von Zuschauerzahlen pro Kopie herangezogen? Oder das Verhältnis von Produktionskosten zu Einspielergebnis? Viele kleine Filme würden dann besser dastehen als ihre überbudgetierten Brüder. Das wäre ein Kriterium nicht durch Größe, sondern durch Effizienz. Oder, die Variante, um den Filmkritikern zu schmeicheln: Zeilenzahl der Besprechungen in den Feuilletons mal Auflagenstärke? Oder, da sich Kassenerfolge in Deutschland ja angeblich ohnehin nie voraussagen lassen, einfach gleich per Losverfahren. Das spart teure Gremien. Es könnte auch überlegt werden, zumindest einen Teil des Geldes in eine „Filmkulturförderung“ zu investieren, d. h. nicht das Produkt und seine wirtschaftliche Auswertungskette ins Ziel zu nehmen, sondern den gesamten Bereich eines Redens, Diskutierens, Nachdenkens über den Film (egal, ob als Kinofilm, auf Video, in Galerien, auf CD-ROM, in Publikationen oder sonstwo). Also etwa Filmbücher oder -zeitschriften zu fördern.
An der Debatte, was die Kultur einem wert sein muss, kann oder sollte, wird man sich noch lange abarbeiten müssen, nicht nur für den Film. So viel Redundanz in ihr auch produziert wird: sie ängstlich und vorschnell auf „Kultur und/oder Kommerz“ zu reduzieren, wird keine besseren (mutigeren, experimentelleren, überraschenderen, kassenstärkeren etc.) Filme hervorbringen. Höchstens den Verschleiß an Staatsministern erhöhen. Christina Weiss ist schon die dritte Kulturbeauftragte des Bundes in nur fünf Jahren. Der erste, Michael Naumann, hat das „Bündnis für den Film“ gegründet. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo man zusammensaß, war es mehr ein Gremium für Zankhähne, das jetzt durch den weniger klangvollen „Deutschen Filmrat“ ersetzt wird. Nach zwei Jahren hat Naumann das Handtuch geworfen. Sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin, der die FFA-Reform ins Rollen brachte, blieb nicht länger als 22 Monate freiwillig im Amt. Nach den Zeiten, als der Bund noch keinen Kulturbeauftragten bestellt hatte, sehnt sich jedenfalls Thomas Frickel von der AG Dokumentarfilm zurück: „Unter der Ägide des Wirtschaftsministers waren die kulturellen Belange des Films noch besser gesichert.“