Misanthropie modern

„Menschenfeind“ im „Ärgernis des Jahres“ – dem Bremer Theater. Die Inszenierung ist durchaus kein Sargnagel

Einigen galt das Bremer Schauspiel schon als „Ärgernis des Jahres“, dem Branchenmagazin „Deutsche Bühne“ beispielsweise. Es entstand insbesondere dort, wo es vorgeblich um Komödien ging, zuletzt bei Ödön von Horváths „Zur schönen Aussicht“. Keine guten Voraussetzungen also für Molières „Menschenfeind“, noch dazu, wo es doch um einen Klassiker geht. Alice Buddebergs Inszenierung ist zwar nicht durchweg überzeugend. Aber sicherlich kein Anlass, weiteren Niedergang zu postulieren.

Vom höfischen Original aus 1666 hat sich diese Regiearbeit weitestgehend emanzipiert, auch auf die Reim-Form des Textes wurde dankenswerterweise verzichtet. Buddeberg versetzt die Geschichte in eine diffuse Post-68er-Umgebung. Da ist einerseits der melancholisch-moralische Idealist Alceste, stets auf Ehrlichkeit bedacht ist, an der Heuchelei der Menschen leidend. Und andererseits die oberflächlich-flatterhafte Célimène, die diverse Liebschaften pflegt, darunter eben auch mit Alceste, sich aber zuletzt von ihm abwendet. Dazwischen gruppieren sich zwei Herren mit Fliegersonnenbrillen, Jackets und Pornofrisuren, unter anderem.

Im Programmheft darf Altkommunarde Ulrich Enzensberger über die Entwicklung der Seinen sinnieren, über Apo-Opas, RAF-Terroristen und die altlinke Toskana-Fraktion lästern. Im Stück taucht mal Sartre, mal Bloch, mal Ho Chi Minh auf, aber eben auch zeitgenössische Discotheken und der Elektropop. Der Theater- ist ein Duschvorhang – er hätte auch dem ungleich radikaleren und inspirierteren Brauhauskeller-Stück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ gut zu Gesicht gestanden. Dahinter eröffnet das minimalistische Bühnenbild ein karges Nichts, nur gelegentlich unterbrochen von Matratzenlagern.

Doch die Analogie wäre noch überzeugender, würde sie konsequenter umgesetzt. Stattdessen verbleibt sie, ebenso wie die Geschichte selbst, ein wenig im Unklaren. Und ist deshalb, allem Charme und mitunter guten Einfällen zum Trotze, ein wenig harmlos. Am Ende bleibt der Eindruck eines Filmes, denn man nicht gesehen haben muss. Aber gut sehen kann, ohne es bereuen zu müssen. JAN ZIER