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Archiv-Artikel

lucien favre Der Taktiktüftler

Es gibt kaum etwas, was man über Jürgen Klinsmann und Ralf Rangnick nicht wüsste. Wer aber ist dieser Lucien Favre, der Hertha auf den dritten Platz führte und dem Verein die beste Hinrundenbilanz seit Vereinsbestehen bescherte?

Man sollte denken, dass einer, der sogar die übersteigerten Zielsetzungen von Manager Dieter Hoeneß übertrifft, ein Teufelskerl sein muss, einer, der viel zu erzählen hat. Ein Mann mit Glamourfaktor. Denn es heißt ja, dass Machtmensch Hoeneß sich nach ihm richtet und nicht umgekehrt.

Der Schweizer Lucien Favre gibt aber meist nur Allgemeinplätze preis. Nach jeder Pressekonferenz sind die Notizblöcke der Journalisten voll davon. „Man muss immer positiv denken“ – „Es hängt immer alles an Details“ – „Wir müssen weiter hart arbeiten“. Weil er die Phrasen so freundlich und liebenswürdig vorträgt, mag es ihm kaum einer verübeln. „Ja, es ist klar“, setzt Favre oft an. Über Unklares spricht er nicht. Er ist kaum zu dechiffrieren.

Ein Interview mit ihm zu bekommen ist für die Mehrzahl der Journalisten ein Ding der Unmöglichkeit. Bevor man von ihm eine Zusage bekommt, haben die meisten schon zehnmal mit Lothar Matthäus gesprochen. Er habe zu viel zu tun, heißt es stets. Wenn man es genauer wissen will, lautet die Antwort: „Er muss noch so viele DVDs gucken.“ Favre gilt als besessener Taktiktüftler mit sehr genauen Vorstellungen. Und seine Spieler loben, wie gut er diese vermitteln kann. Kompromisse aber kennt er nicht. Da schreckte er auch nicht vor einem Konflikt mit Herthas egozentrischem Publikumsliebling Marko Pantelic zurück. Favre sah unbeeindruckt zu, wie der ins zweite Glied versetzte Serbe sich bei der Presse ausheulte und sich nach Jokertoren demonstrativ von den Fans feiern ließ. Pantelic musste weiter die Bank drücken und erkannte schließlich die Grenzen seiner Macht.

Für Favre steht das Kollektiv über allem. Das Individuum zählt weniger. Diese Überzeugung hat in der Liga noch keiner konsequenter als der Schweizer Lucien Favre vorgelebt.

JOHANNES KOPP