Das große Literaturspiel

Kunst über Leichen: Benjamín Prados Roman „Als einer von uns Laura Salinas töten wollte“

Eigentlich geht es gar nicht um Laura Salinas. Wenn Laura Salinas auch die Frau sein soll, die alles ins Rollen zu bringen scheint in diesem raffinierten kleinen Roman, so ist sie doch vor allem eine Handpuppe in dem großen Spiel, das da heißt Literatur. Eine verschärfte Variante dieses Spiels wird in Spanien gepflegt und sehr niveauvoll betrieben: das selbstreferenzielle, auch selbstreflexive Spinnen von Geschichten um das Geschichtenerzählen herum. Mit ihren eigenen Mitteln stellt die Literatur sich selbst in Frage, wobei wahlweise eine moderat melancholische oder eine gepflegt zynische Haltung erlaubt ist. Benjamín Prado hat sich für die zynische Subvariante des Spiels entschieden und sie perfektioniert.

Das Personal besteht aus drei Männern und einer Frau. Das Spielfeld enthält mehrere Handlungsorte, wobei das „Start“-Feld, zu dem die Figuren immer wieder zurückkehren, von einer Bar markiert wird, in der die Männer sich regelmäßig treffen: Iker Orbáiz, junger Möchtegernschriftsteller in permanenter Schaffenskrise. Ángel Biedma, Arzt mittleren Alters mit ausgeprägter Ordnungsneurose. Und Alcaén Sánchez, ein unscheinbarer Versicherungsangestellter, der eines Abends zufällig zu den beiden anderen stößt und von da an ihr treuer Zuhörer wird.

Ironischerweise wird gerade der von den anderen als passiv empfundene Alcaén Sánchez zum hauptsächlichen Handlungsträger des Romans. Und das gleich doppelt: Iker Orbáiz schreibt an einem Roman über einen „Mann, der in seinen eigenen Träumen nicht vorkommt“, eine Figur, der er die Identität eines hauptamtlichen Taubenvergifters angedichtet hat. Um seiner mangelnden literarischen Fantasie auf die Sprünge zu helfen, verleiht er dem todbringenden Tierarzt die Züge und den Namen von Alcaén Sánchez.

Gleichzeitig aber spielt sich, von den anderen unbemerkt, in Alcaéns wirklichem Leben ein kleines Drama ab, worin er eine Rolle einnimmt, die mit dem echten Alcaén nicht identisch ist. Denn er liebt es, Häuser zu besichtigen, die er sich nie leisten könnte, und den solventen, selbstbewussten Käufer zu mimen. Dabei verliebt er sich in die Maklerangestellte Laura Salinas. Er verfällt ihr mit Haut und Haar, weiß jedoch, dass sie ihn fallen lassen wird, sobald er sich als der ärmliche, kleine Angestellte entpuppt, der er wirklich ist. Verzweifelt entwirft Alcaén einen minutiösen Plan, um seinen Arbeitgeber zu berauben, bekommt jedoch in letzter Minute kalte Füße. Das Verbrechen bleibt unausgeführt, Alcaén gesteht Laura alles, sie lässt ihn fallen, er ist todunglücklich.

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch hier fängt die Literatur erst richtig an, ihr Unglück bringendes Garn um Alcaéns Leben zu spinnen. Denn wenn dieser nicht nachträglich seine literaturbesessenen Freunde in seine verbrecherischen Pläne eingeweiht hätte, säße wohl am Ende niemand im Gefängnis. Und niemand wäre tot.

Der Schluss kommt tatsächlich überraschend. Obwohl im Laufe des Romans reichlich Spuren ausgelegt werden, ist man so beschäftigt, dem Faden der Erzählung durch alle Haken und Ösen zu folgen, dass man sie nicht wirklich zu lesen vermag. Der Erzähler, der sich als Handelnder der Geschichte zu erkennen gibt, doch seine Identität erst am Schluss preisgibt, spielt geschickt mit unserer Erwartungshaltung. Dass seine Geschichte eine hoch tragische ist, geht dabei im gepflegten Zynismus des großen Literaturspiels einfach unter. Aber: quod erat demonstrandum. Die Kunst darf gern über Leichen gehen. Ist ja nur ein Spiel. Und hat hier wirklich Spaß gemacht. KATHARINA GRANZIN

Benjamín Prado: „Als einer von uns Laura Salinas töten wollte“. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Luchterhand, München 2004, 192 Seiten, 19 Euro