Stricher und Revolutionär

Ein Gespräch mit dem Regisseur Bruce LaBruce über seinen RAF-Porno „The Raspberry Reich“, Gucci-Marxisten, schwule Nazis und das gegensätzliche Sexualleben von Bush und Bin Laden

INTERVIEW HENNING KOBER

taz: Mr. LaBruce, Sie sind auf einer Farm, 150 Meilen von Toronto entfernt, aufgewachsen. Wie war ihre Kindheit?

Bruce LaBruce: Ich wuchs in einer sehr kleinen Gemeinde auf, weit weg von jeder urbanen Realität. Es gab nur lokale Fernsehsender, kein Kabel, trotzdem habe ich viele Hollywood-Filme gesehen. Unsere Eltern fuhren mich und meine Geschwister jedes Wochenende in das Drive-in-Kino.

Hört sich nach einer schwierige Umgebung an?

Ja, ich war schon sehr jung schwul. Eigentlich solange ich denken kann. Meine High-School-Zeit war in den 70ern. Offen schwul zu sein, war überhaupt kein Thema, es sei denn, man wollte angemacht oder zusammengeschlagen werden. Ich hing also mit anderen Außenseitern rum – hauptsächlich Mädchen, die als Schlampen verschrien waren. Wir haben sehr wild gefeiert.

In einem älteren Interview sagten Sie, schwul sein sei eine Tragödie. Das hört sich traurig an, empfinden Sie das immer noch so?

Keine Tragödie wie bei Shakespeare, mehr so in einem Janes-Austen-Sinn. Sich auf eine romantische Art und Weise seiner eigenen Opferrolle bewusst sein, das aber in etwas Starkes zu verwandeln. In Toronto war ich Teil der schwulen Punkszene. Wir haben uns als Gay-Punks als subversive Doppelagenten gesehen, die aufgrund ihres Außenseiterdaseins die Massenkultur objektiv beobachten und bekämpfen können.

Ihr neuer Film „The Raspberry Reich“ durchspielt das Szenario einer neuen RAF-Generation, die für die homosexuelle Revolution kämpft. Warum gerade die RAF?

Seit dem Fall der Mauer habe ich sehr viel Zeit in Berlin verbracht, auch weil Jürgen Brüning von Cazzo-Film alle meine Spielfilme produziert hat. Als ich an meinem letzten Film „Skin Flick“ in Berlin arbeitete, erlebte die RAF gerade dieses komische Comeback und ganz Deutschland diskutierte die Steinwürfe des Außenministers. Das war alles noch sehr frisch, das reizte mich.

Hatten Sie keine Angst, dass der Film als Fortschreibung der Prada-Meinhof-Verpoppung missverstanden wird?

Warum? Der Film erlaubt den Besuchern sich mit ihrem linken Temperament zu identifizieren. Er sympathisiert mit den marxistischen Prinzipien, die auch von der RAF oder PLO gepflegt wurden. Gleichzeitig führt er aber die bürgerliche Linke vor, die ich gerne „SchiLi“ nenne, die schicke Linke. Der Titel „Raspberry Reich“ ist diesen Gucci-Marxisten und Champagner-Sozialsten gewidmet.

Woher kommt Ihr Interesse für Terrorismus?

In den Achtzigern las ich alles über die RAF und die SLR, die Simbionese Liberation Army. Und irgendwie repräsentieren Terroristen und Serienmörder für mich immer das amerikanische System der sexuellen Unterdrückung. Die extreme Eruption von Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft ist ja nur ein Symptom einer kranken Gesellschaft und eine Folge des amerikanischen Puritanismus.

Wenn im Film Gudrun, die Anführerin, den Psychoanalytiker Wilhelm Reich so interpretiert, dass sie sagt: „I don’t care about what’s going on in Afghanistan, I care about my orgasm“, stimme ich absolut mit ihr überein. Es ist naiv zu denken, man könne die Konflikte der Welt lösen, wenn man selbst total verklemmt und sexuell frustriert ist.

Der Afghanistan- und Irakkrieg ist also auch eine Folge der sexuellen Frustration von George W. Bush?

George Bush zeigt ein extrem kindliches asexuelles Verhalten. Seine Frau ist diese verspannte Bibliothekarin, man kann sich Sex mit ihr kaum vorstellen. Auf der anderen Seite ist da Bin Laden, der etwa 40 Kinder mit drei oder vier Frauen hat. Er ist groß, mit weichen, sensiblen Augen. Offensichtlich ist er ein extrem sexuelles Wesen. Beide sind natürlich Mörder. Ich glaube aber, dass ein Teil der Angst der westlichen Welt vor dem Islam auf dessen extrem sexueller Kultur basiert.

Der Islam ist Ihrer Meinung nach eine sexuelle Kultur?

Mein Freund, mit dem ich neun Monate vor 9/11 zusammenkam, ist Muslim. Durch ihn habe ich viel über den Unterschied zwischen muslimischer und westlicher Sexualität gelernt. Im Islam gibt es natürlich ein strenges Verbot gegen offen zur Schau gestellte Sexualität, ironischerweise ist aber Homosexualität in islamischen Ländern sehr viel weiter verbreitet als im Westen.

Aber nur, solange das im Verborgenen passiert.

Mag sein, aber in den USA ist Homosexualität auch nur akzeptiert, solange du dich verhältst wie einer dieser Jungen aus „Queer Eyes For The Straight Guys“. Aber ist das Freiheit, wenn man einer Rolle entsprechen muss, die die Heterosexuellen von den Homosexuellen erwarten? Amerika ist entgegen aller großen Bekenntnisse zu einer freien und offenen Gesellschaft, sexuell stark unterdrückt, ja sexuell schizophren.

Im Film brandmarken Sie Madonna als konterrevolutionär, warum?

Madonna ist smart und ihre Ästhetik interessant, ich habe eine Hassliebe zu ihr. Sie ist bei weitem nicht die Schlimmste unter den amerikanischen Pop-Idolen, aber konterrevolutionär, weil sie subkulturelle Rebellionsimpulse erkennt, verwendet und modifiziert in ihr Image einfügt. Dadurch popularisiert sie diese, raubt ihnen aber auch jede Kraft, bis daraus totaler Mainstream geworden ist. Jeder subkulturelle Impuls, den sich Madonna zu Eigen gemacht hat, wurde von ihr so stark verändert, dass er banal und nutzlos wurde.

Madonna ist also ein Insekt, ein Blutsauger?

Ja, genau. Ein gutes Beispiel ist der Zungenkuss zwischen Madonna und Britney bei den MTV Awards. Zunächst wirkte das wie ein Kommentar zu Gay Marriage, was damals gerade ein großes Thema in den USA wurde. Madonna war gekleidet wie ein Bräutigam, Britney und Christina wie Bräute, es gab einen Hochzeitskuchen. Die ganze Aktion war also positioniert als radikales sozial-gesellschaftliches Statement, um Gay Marriage zu unterstützen. Warum versucht sie diese extrem bourgeoise und altmodische Form der Ehe zu unterstützen? Sie präsentiert eine Illusion von Radikalität, ist aber in Wahrheit reaktionär. Der Kuss selbst war offensichtlich anturnend für ein heterosexuelles männliches Publikum und kein lesbisches Bekenntnis.

Sie sagen, ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit ist die Beobachtung, wie Unterdrückte selbst zu Unterdrückern werden.

Absolut: Die schwule Bewegung war eine sehr militante fortschrittliche Bewegung mit einer radikalen Ästhetik. Heute kämpfen sie für Anpassung, Normalität, eine bourgeoise Form der Ehe, das Recht Kinder zu haben und monogame Beziehungen. Weil Sie vorher nach der Tragödie fragten, ich denke, das ist die wirkliche Tragödie. Das Gleiche mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. In den 70ern waren die Black Panthers eine radikale marxistische, teilweise auch feministische Bewegung. Und heute? Gucken Sie sich die HipHop-Videos an: Das hat sich gewandelt in einen totalen Materialismus, der sexistisch und homophob ist, komplett reaktionär. Das sind die neuen Feinde.

In „Raspberry Reich“ geht es immer wieder um „Fucking for Revolution“, das hört sich ja sehr verlockend an, aber lässt sich so wirklich Revolte machen?

Ich denke, ja. Jede revolutionäre Bewegung funktioniert über eine starke Sexualisierung. Das war bei Baader so, der außerdem noch durch die Medien und seine Anhänger extrem glamourisiert wurde. Auch für Che Guevara gilt das. Die Identifikationsfigur darf nur kein offensiver, extrem heterosexueller Mensch sein. Es braucht ein Geheimnis.

Andreas Baader hat sich für das schwule Magazin Du&Ich fotografieren lassen und sich als junger Mann prostituiert. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen seiner Homosexualität und Radikalität?

In allen Revolutionären wohnt ein Stricher. Teil ihrer Anziehungskraft ist, dass sie Underdogs sind und gegen große Konzerne oder Mächte wie den Staat kämpfen. Ich denke, Baader hatte vor allem eine bisexuelle Seite, die typisch ist für linke Revolutionsführer. Bei Che Guevara ist das auch so. Im Gegensatz zu rechten Anführern wie Fortuyn, Hitler, Haider oder vielen Neonazi-Führern – die alle sehr schwul sind.

Sie nennen „Raspberry Reich“ einen Agitporn-Film. Was bedeutet das?

Das ist eine Abwandlung von Agitprop. Ich benutze den Pornofilm, ein populäres Medium, als Mittel eine politische Haltung zu transportieren. Die Pornoindustrie ist eine millionenschwere Industrie, die immer noch kaum als Tragfläche für politische und gesellschaftliche Botschaften benutzt wird. Das könnte man durchaus ändern. Andererseits benutzt der Film auch eine gewisse Warhol-Ästhetik. Er war mir auf jeden Fall ein Lehrer. Besonders „Woman in Revolt“ von Paul Morissey, ein von Warhol produzierter satirischer Film über die Frauenbewegung, hatte großen Einfluss auf „The Raspberry Reich“.

Berlin sieht im Film ein bisschen aus wie die Ukraine. Wie waren die Bedingungen für den Dreh?

Wir hatten nur 13 Drehtage. Zunächst haben wir in einer Wohnung an der Karl- Marx-Allee gedreht, aus der wir dann aber herausgeflogen sind. Wir hatten keine offizielle Drehgenehmigung, dafür aber Männer, die mit Skimasken und Waffen durch das Treppenhaus rannten. Merkwürdigerweise hatten wir überhaupt keinen Kontakt mit der Polizei. In Amerika steht an jeder Ecke ein Polizist und hier haben wir sogar einen Überfall vor einer Bank gedreht, ohne dass wir einen Polizisten getroffen hätten. Berlin ist so zivilisiert.

Morgen, 21.00 Uhr im HAU 2: „The Raspberry Reich“ in Anwesenheit des Regisseurs. Montag, 29. 3., 22.00 Uhr im Kino International. Ab Donnerstag, 1. 4., in diversen Kinos