: Ein Schaumbad für die Seele
Wow, diese voluminösen Akkorde! Die Rio-Reiser-Revival-Show im Theater am Leibnizplatz geht in ihre zweite Runde. Dabei ersetzt der nie abreißende Fluss der Gefühle die Legende. Die spielt nämlich im „Stillen Raum“ keine Rolle
Keine Pause – und das ist gut so. Gäbe es eine Pause, wäre der sentimentale Evolutionsfluss unterbrochen. Aber so.
So stehen Sebastian Mirow und Jens „Hassel“ Hasselmann mit Gitarre und Tamburin auf der Bühne und sind alles andere als leise. Dabei heißt die Inszenierung der beiden „Stiller Raum“ und ist die zweite Hälfte der Rio Reiser-Duologie in der Bremer Shakespeare Company.
Kein Schnickschnack. Auch das ist gut so: Die spartanische Ausrüstung bringt die wahren Talente Mirows und Hasselmanns zum Vorschein. „Was wir machen, ist verboten“ singen sie, „dafür gibt’s was auf die Pfoten.“
Manchmal reicht ein ausgeleiertes Schiesser Feinripp. Manchmal kann man mit einem alten Eimer über dem Kopf singen und trotzdem wabert eine Wolke ausgelassener Glückseligkeit über den Zuschauerköpfen. Keine Studio-Atmosphäre.
Mirow und Hasselmann arbeiten mit Gesten und einer reichlichen Kelle Humor. Sie reißen keine Schoten, klopfen nicht platt auf Schenkel und trotzdem kitzeln sie die Lachmuskeln mehr als der „Scheibenwischer“ im Ersten. Ihr Rezept: Spaß an der Arbeit. Die Mimik macht’s, und die einstudierte Spontaneität, die nie einstudiert wirkt.
Überaus erfolgreich waren Sebastian Mirow und Jens Hasselmann schon bei Reiser,Teil eins, „Der Kampf ums Paradies“als Rio Reiser und R.P.S.Lanrue aufgetreten: Mit dem hatte der wahre Reiser im Jahre 1970 den Song „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ aufgenommen. Das war damals, lang ist’s her, der Beginn der Kultband „Ton Steine Scherben“ gewesen – alles Geschichte.
Doch wenn Sebastian „Rio“ Mirow anfängt, dem Junimond für immer Bye-bye zu sagen, dann ist das nicht die dreiundzwanzigste Version der dreiundzwanzigsten Version eines mittlerweile uralten Smash-Hits. Das ist vielmehr ein ätherisches Schaumbad für die Seele.
„2000 Stunden hab ich gewartet“ schnaubt er ärgerlich, frisst Papierschnipsel und schiebt schmollend das Kinn nach vorn. „Ich hab sie alle gezählt!“ Wenn er nach der Krone des König von Deutschland greift, ist das keine Schlagerparty, sondern ein Whirlpool – mit Gemütsmassagebrause. Bis in die tosende Brandung jagen sie die Zuschauer, singen von der See, der Liebe und der Wahrheit. Mirow und Hasselmann lassen die Luft vibrieren mit nur zwölf Stahlsaiten und ein bisschen Inbrunst. Und dann bleibt man, wie eine atemlose dicke Robbe an den Strand gespült, liegen.
Da ist er, der „Stille Raum“, genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Retter aus der Atemnot singt vom abgebrannten Zauberland, presst mit geblähten Nüstern kehlige Silben aus seinem Hals – genau wie Rio. Dabei geht es an diesem Abend genau genommen gar nicht um die Person Rio Reiser. Zugegeben, es sind seine Lieder. Aber die Legende spielt gar keine Rolle. Heute mag man sich einfach nur mit freudigem Staunen in den Augen von Hasselmanns versilberter Gitarre blenden lassen, hören und spüren. Die voluminösen Gitarrenakkorde, wow!
Susanne Polig
Nächste Vorstellungen: 24. und 25. Mai sowie 14. und 15. Juni; „Der Kampf ums Paradies“ vom 6. bis 9. Juni, jeweils 19.30 Uhr, Karten unter ☎ (04 21) 50 03 33