Schröder, Kerner und fünf Prinzen

Die SPD zelebriert im Berliner Tempodrom ihren 140. Geburtstag als moderne Talkshow mit Herzschmerz, Filmchen und Musik. Kunstvoll eingebettet darin eine Grundsatzrede von Gerhard Schröder über den Zusammenhang von Freiheit und Gerechtigkeit

aus Berlin JENS KÖNIG

Warum nicht Johannes B. Kerner? Wer 140 Jahre alt ist, hängt sich gern an den Zeitgeist, um jung und frisch und hip zu wirken. Also springt der wandelnde Zeitgeist auf die Bühne im Berliner Tempodrom. „Ich begrüße Sie zur 140-Jahr-Feier der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“, sagt Johannes B. Kerner, der Kuscheligste aller Talkshowmoderatoren, und beweist gleich mit seinen Eingangsworten, wie nah sich Fernsehen und Politik seit 1863 doch gekommen sind. Kerner begrüßt alle möglichen Gäste und fügt dann an, dass die edle Form der politischen Auseinandersetzung die persönliche Anwesenheit voraussetze. Ob das eine Anspielung auf den in der SPD verfemten Parteivorsitzenden a. D. Oskar Lafontaine sein sollte, wurde nicht ganz klar, zumal es ja die Sozialdemokraten selbst waren, die Lafontaine ausgeladen haben – aber Kerner demonstrierte mit seiner schwergewichtigen These, dass Leute wie er auf Parteigeburtstagen schon längst nicht mehr wie Fremdkörper wirken.

Ja, die SPD hat sich Mühe gegeben mit ihrer Feier. Wer in der Krise ist, besinnt sich eben gern auf seine Traditionen. Die Partei zelebrierte ihren Geburtstag als Talkshow. Kerner führte lässig durchs Programm. Die Jazzgurus Dauner und Mangelsdorff sowie die fünf Jungs von den „Prinzen“ (aus Leipzig! Revolution!!) machten Musik. Ein rasant geschnittener Film führte in 10 Minuten durch 140 Jahre Sozialdemokratie. Und ganz am Ende sorgte der Parteivorsitzende höchstselbst für den nötigen sozialdemokratischen Herzschmerz. Gerhard Schröder umarmte auf der Bühne einen gewissen Horst Hampel, der seit 50 Jahren Mitglied der SPD ist, und ein Mädchen namens Julia Rieder, die erst 16 Jahre alt und trotzdem schon in der Partei ist.

Zu dieser Show passte, dass an zwei eher unpolitischen Stellen ein Raumen durch den Saal ging. Einmal, als Generalsekretär Olaf Scholz daran erinnerte, dass Ferdinand Lassalle bereits 1864, ein Jahr nach Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, bei einem Duell wegen einer Frau ums Leben gekommen ist. Das andere Mal als ein Foto von Wolfgang Thierse aus dem Jahre 1964 gezeigt wurde: Der Wolle vom Prenzlauer Berg sah aus wie Rainer Werner Fassbinder mit Heiner-Müller-Brille.

Das Programm kam nicht einmal aus dem Tritt, als Schröder eine rund 45-minütige Grundsatzrede über das moderne Erbe der Sozialdemokratie hielt. Es war, kurz gesagt, eine von Schröders besseren Reden, in deren Mittelpunkt er ganz geschickt den Zusammenhang von Freiheit und Gerechtigkeit stellte. Geschickt deswegen, weil er damit zum ersten Mal seit längerer Zeit erklärte, was am radikalen Umbau des Sozialstaats sozialdemokratisch sein soll. Seine Reform-Agenda 2010 musste der Kanzler mit keinem Wort erwähnen. Es verstand auch so jeder, dass er mit der historisch übergreifenden Rede seine aktuelle Politik rechtfertigen wollte.

„Die Freiheit des Einzelnen steht im Zentrum unserer Überzeugungen“, sagte Schröder. Freiheit bedeute, Verantwortung zu übernehmen – Verantwortung für das Gemeinwesen, aber auch Verantwortung der Bürger für sich selbst, für das Nutzen der persönlichen Chancen und für Eigeninitiative. „Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Freiheit. Und ohne Freiheit keine Solidarität.“ Als Antwort auf seine Kritiker in der eigenen Partei sagte der SPD-Chef, eine Politik der Gerechtigkeit müsse auch darauf achten, dass die Menschen nicht „dauerhaft von staatlicher Unterstützung abhängig werden“. Am Schluss der Rede dann demonstrative Bescheidenheit: „Es gibt keine bessere Partei in Deutschland als die SPD.“ Das passte zur Show.