: Ein unordentliches Leben
VON LARS PENNING
So dürfte der größte Teil seines Kinopublikums Peter Ustinov wohl in Erinnerung behalten: lorbeerumkränzt und mit der Lyra in der Hand vor dem Hintergrund des brennenden Rom ein Loblied auf das Feuer singend, das er selbst in Auftrag gegeben hat. Und es muss an den großen, kindlichen Augen in dem feisten Gesicht mit dem Doppelkinn liegen, dass man dem Mimen nicht einmal dann wirklich böse sein kann, wenn er so abgefeimte Schurken wie den Kaiser Nero in Mervyn Le Roys „Quo vadis?“ (1951) verkörpert. Denn wenn sein kaiserlicher Kopf aus dem riesigen Architekturmodell eines „neuen“ Rom herausragt wie aus einem Superspielzeug, wirkt der wahnsinnige Herrscher vor allem wie ein unartiges und verzogenes großes Kind.
In seinen besten Rollen wusste sich Ustinov dieser Ausstrahlung stets zu bedienen: In Curtis Bernhardts historischem Kostümfilm „Beau Brummell – Rebell und Verführer“ (1954) knackt er als Prince of Wales die Nüsse mit der bloßen Hand und freut sich diebisch über eine Tabaksdose, die beim Öffnen „He's a jolly good fellow“ spielt. Ustinovs Thronfolger ist so schwächlich, fett und ungeduldig, dass sein zeitweiliger Berater und Freund Beau Brummell (Stewart Granger), der den guten Geschmack der Zeit repräsentiert, am Ende das Scheitern seiner Bemühungen eingestehen muss: „Es ist mir nicht gelungen, aus dem Prinzen einen König zu machen.“
Zweifellos trug auch der rundliche Körperbau nicht unerheblich zu Ustinovs gemütlichem Erscheinungsbild bei, und er scheute sich nie, die Leibesfülle zum Thema zu machen und seinen nackten Oberkörper ins rechte Licht zu rücken: So lässt er sich in „Beau Brummell“ Blutegel ansetzen, die das Fett reduzieren sollen, und in Stanley Kubricks monumentalem „Spartacus“ (1960) sieht man ihn gemeinsam mit dem ebenfalls recht beleibten Charles Laughton in den römischen Thermen schwitzen. Der amerikanischen Film Academy war Letzteres den Oscar für die beste Nebenrolle wert; 1964 gewann Ustinov die Statuette noch einmal für seine Rolle als – eher komischer – Verbrecher in Jules Dassins Gaunerkomödie „Topkapi“.
Ehe ihm sein Nero-Porträt weltweiten Ruhm bescherte, hatte der Mime vornehmlich in England gearbeitet: 1921 in London geboren, studierte Ustinov von 1937 bis 1939 zunächst Schauspiel am London Theatre Studio, ehe er nach seinem Debüt an einer Provinzbühne auch den Weg als (Neben-)Darsteller zum britischen Film fand. Schon bald genügte ihm die Schauspielerei allein jedoch nicht mehr: In den Jahren 1946–1949 schrieb und inszenierte das Multitalent drei Filmkomödien, von denen „Private Angelo“ (1949) die humanitäre Haltung des Privatmenschen Peter Ustinov am deutlichsten widerspiegelt: Den italienischen Soldaten mit tiefer Abneigung gegen den Krieg, der sich im Zweiten Weltkrieg schlitzohrig zwischen den Fronten durchschlägt, verkörperte Ustinov selbst.
Die liebste seiner Regiearbeiten war ihm jedoch die Verfilmung des Herman-Melville-Romans „Billy Budd“ (1962), eine britische Produktion. Die Geschichte trägt sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der großen Flottenmeuterei auf einem Segelschiff zu. Für diese Epoche der Geschichte habe er sich sehr interessiert, bekannte Ustinov und erklärte, das ein wachsendes Interesse an der Fotografie seiner Filme zu der Entscheidung führte, den Seefahrerfilm in Schwarzweiß zu drehen: „Farbe hätte alles zu sauber erscheinen lassen, während Schwarzweiß ein besseres Gefühl für splitterndes Holz und die Takelage sowie von Meer und Himmel vermittelt.“
Seine Erfahrungen als Regisseur unter den Produktionsbedingungen Hollywoods fasste Ustinov dagegen mit einer Anekdote zur Entstehung von „Lady L“ (1965) zusammen: „Eines Tages bekam ich einen Anruf von MGM: Sie haben da ein Bordell in ihrem Film, könnten Sie daraus vielleicht ein Bordell für die ganze Familie machen?“
Als Schauspieler störte ihn an Hollywood dagegen vor allem das Typecasting: Ausschließlich „Kaiser, Kriminelle, Sklaven oder Sträflinge“ habe man ihm als Rollen angeboten. Konsequent suchte sich der multilinguale Ustinov in den Fünfzigerjahren Arbeit in aller Welt, drehte Filme in Frankreich und Italien und schrieb Theaterstücke, die er auch selbst inszenierte. Seine anspruchvollste Filmrolle jener Jahre fand Ustinov in Max Ophüls' Meisterwerk „Lola Montez“ (1955), das beim beim zeitgenössischen Publikum für Verwirrung sorgte. Statt einer frivolen Sittenkomödie hatte der Regisseur einen Experimentalfilm mit mehreren, nicht chronologisch verlaufenden und sich gegenseitig kommentierenden Handlungsebenen gedreht: Als aufschneiderischer Zirkus-Conférencier (und zugleich als besorgter Liebhaber) präsentiert Ustinov die berüchtigte Kurtisane Lola in einem Zirkus in New Orleans, wo sie Szenen ihres bewegten Lebens nachstellt – doch ihre Erinnerung an unglückliche Amouren strafen seine glorifizierenden Kommentare durchweg Lügen.
Im Kino der Sechziger- und Siebzigerjahre richtete sich Ustinov als humoristischer Charakterdarsteller ein; seine bevorzugte Rolle war dabei Agatha Christies selbstgefälliger Privatdetektiv Hercule Poirot, den er in verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen verkörperte.
Vor allem aber weitete der omnipräsente Ustinov seine Aktivitäten auf andere Tätigkeitsfelder neben dem Film aus: Er inszenierte Opern, verfasste weitere Theaterstücke, Romane und amüsante Memoiren, betätigte sich als Moderator von Reiseberichten und politischen Diskussionen, war Conférencier und Unicef-Botschafter. Kaum eine Talkshow kam mehr ohne Peter Ustinov aus: Er war ein faszinierender Geschichtenerzähler, ein raconteur im besten Sinne.
Das große Kinopublikum konnte Sir Peter Ustinov zuletzt noch einmal in Eric Tills „Luther“-Film bewundern: Als Luthers Förderer Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen bringt er Humor in den ansonsten ernsten Film und gibt sich gleichermaßen klug und verschlagen wie naiv und kindlich. Alt wurde Peter Ustinov nie. Jetzt ist er gestorben, kurz vor seinem dreiundachtzigsten Geburtstag.