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Archiv-Artikel

Kein Dialog mit dem Protest

Studierende versuchten Anfang des Jahres, während einer Landtagssitzung mit sächsischen Abgeordneten über die Bildungskrise zu diskutieren. Nun haben die gutmeinenden Protestler wegen Störung eines Verfassungsorgans ein Strafverfahren am Hals – und verstehen die Welt nicht mehr so recht

„So viele Fragen – aber man weiß gar nicht, wo man mit dem Nach- haken anfangen soll“

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Die Angst vor dem Kadi isst die Seele noch nicht auf bei Debora und Marcel. In der fernen Landeshauptstadt Dresden schwenkt die Staatsmacht das Strafgesetzbuch. Aber hier, in den Räumen des Leipziger Studentenrates, wird trotz alledem gelacht. Die Situation ist eigentlich nicht danach. Sachsens Landtagspräsident hat die beiden Studi-Aktivisten wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Die Staatsanwaltschaft setzte wegen Störung eines Verfassungsorgans noch ein Vergehen drauf.

Anfang des Jahres hatten 14 Leipziger StudentInnen ironisch die Hochschuldebatte des Landtages beklatscht. Daraufhin brach Präsident Erich Iltgen (CDU) die Sitzung ab. Das war kein Kinderstreich mehr. Dass hier unvergleichliche Welten aufeinander prallen, wird schon klar, bevor die beiden jungen StudentInnen die ersten Sätze zur Sache gesagt haben. Vielleicht liegt es an der Leipziger Luft, die seit je für Aufklärung und Bürgergeist steht. 1989 begann hier das Ende der DDR. Während im höfischen Dresden jedermann darauf achtete, nicht über seinen Kratzfuß zu stolpern. In eine solche Atmosphäre sind Debora und Marcel hineingewachsen, ins Streikkomitee der Universität Leipzig.

Im Dezember des Vorjahres, auf dem Höhepunkt der Proteste für ein besseres Studium und gegen Studiengebühren, war Marcel erstmals hierher gekommen, ins Zentrum aller Leipziger Studentenstreiks. Marcel ist 21, er studiert Afrikanistik und Soziologie – und will etwas verändern. „Es reichte mir nicht, nur vor dem Fernseher zu sitzen und mich aufzuregen!“ Ein Bauchgefühl, zugegeben, erst einmal nicht mehr. Er teilt es mit Debora, 20, die Soziologie sowie Erziehungs- und Sprachwissenschaften studiert. Bei beiden ist das Unbehagen schon vor der Uni gewachsen. Schule, das hieß für sie vorgefertigte Sätze und Pädagogik Marke Nürnberger Trichter. Nach 12 Jahren, so empfinden sie es, machten sie ein Notabitur in Werdau, das in der Nähe der westsächsischen Großstadt Zwickau liegt.

Im Studium hat sich der Frust fortgesetzt. „Total verschult“, schimpfen die beiden über die akademische Lehrkultur, „Frontalunterricht!“ Sie sehen ihre Chancen sinken, die Regelstudienzeit einzuhalten. Auch im Osten stellen die Hochschulen auf Überlast um – garantiert zu wenige Dozenten für die Studierenden. Warum ist das so, will Debora wissen. Sie spricht von Ahnungen, von einem Gefühl, das sie mit Informationen untersetzen will. Sie möchte mit „richtigen Infos“ Hintergründe offen legen und Zusammenhänge erhellen – ein Grundproblem der Desinformationsgesellschaft. So kam sie zum Studentenrat, dem StuRa, und zum Komitee, das den Studentenstreik vorbereitete.

„Das saßen auf einmal 40–50 Leute, die machten alle was“, staunt die junge Frau. Die kriegten es sogar hin, sich auf vernünftige Art ihre Meinung zu bilden. Richtig schön basisdemokratisch, meinen die beiden, mit richtiger „Redekultur“. Bei den Demonstrationen sei ihnen zu viel von Fete und Spaß dabei gewesen. Bei den Medien sowieso, die wollten unterhalten und die Leute unterhalten werden. Im Streikkomitee gab es die Chance zu lernen – im Diskurs, über Bildung und die Politik dahinter.

Marcel kommt nicht aus akademischem Haus, Debora ist sogar Kind einer Zwickauer Arbeiterfamilie. Daher weisen sie jede Unterstellung zurück, sie seien Komfortstudenten, denen es bei Protesten gegen Studiengebühren etwa um Privilegien gehe. „Weil wir nicht zu den sozial Privilegierten gehören“, sagt Debora, „wollen wir soziale Auslese so weit wie möglich verringern.“

Mit ihren Protesten wollen sie die Studienbedingungen verbessern. Und die menschenferne Lehre verändern. Plötzlich fängt Debora an, von einem roten Faden des Lernens zu reden, von einem lebenslangen Bildungsprozess vom Kindergarten bis ins Seniorenalter. „Es geht nicht nur um mich, sondern um Leute, die nach mir kommen und gleiche Chancen haben sollen“, beteuert Marcel. Er rollt dabei so ossiehrlich mit den Augen, dass man ihm irgendwie glauben muss.

Auf „fundamentale Fragen“, findet der junge Mann, gibt es noch wenige Antworten. „Es ist schwer, die Wurzel zu ziehen“, sinniert Marcel, da werde man schnell zu visionär. Und Debora sagt: „Man merkt, dass die Bildungsmisere in einen größeren Zusammenhang gehört. Aber man weiß gar nicht, wo man mit dem Nachhaken anfangen soll.“

In einem allerdings fühlen sich die beiden Studis, die demnächst vor Gericht stehen, denn doch privilegiert – in ihrer Möglichkeit zu Studium und zu politischem Engagement. Plötzlich bricht so etwas wie elitäres Selbstbewusstsein durch. Die Menschen seien heute so verängstigt und zersplittert in ihrer Interessenwahrnehmung. Studenten aber könnten den Mund aufmachen. „Wer soll den etwas verändern, wenn nicht wir?“ Stolzes Gefühl, irgendwie zu den Berufenen zu gehören.

So kamen sie sich wohl vor, als an jenem 16. Januar mit fünftausend sächsischen Kommilitonen vor den Dresdner Landtag ziehen. Eine zuvor mit Streichhölzern ausgeloste Gruppe von 14 Leuten malt sich T-Shirts, die zusammen das Wort „BILDstörUNG“ ergeben. Sie setzen sich in ihren roten T-Shirts auf die Zuschauertribüne, lassen ihren Protest ins Plenum des Landtags hinunterleuchten. Zum ersten Mal erleben sie eine Landtagssitzung, die sich mit ihrem Thema befasst – und erleben es wie ein Schockerlebnis. „Solche Menschen leiten dein Land!“ Marcel kann es nicht fassen. „Es gibt keinen Denkprozess, keinen Dialog“, so sieht er die Atmo im Landtag, „die verhöhnen sich nur gegenseitig.“

Das Abspulen vorgefertigter Meinungen habe ihr Angst gemacht, erinnert sich Debora. Grotesk, wenn trotzdem immer wieder vom „Hohen Haus“ die Rede sei. Als Wissenschaftsminister Matthias Rößler (CDU) sich und seine Hochschulen nur noch lobte, muss bei den StudentInnen eine Sicherung durchgebrannt sein. Obwohl sie vorher über die Geschäftsordnung belehrt wurden, beginnen die Eindringlinge heftig zu klatschen. Sie machen Zwischenrufe. Sie mischen sich ein, um – wie Debora erzählt – ins Gespräch zu kommen. Aber sie führen nur die Mittagspause vorzeitig herbei, die Abgeordneten trotten davon. Das Echo hatten alle nicht so heftig erwartet. „Wir wollten das auf menschlicher Ebene lösen“, erinnert sich Marcel.

Ein bisschen naiv vielleicht. Auch in ihrer offiziellen Stellungnahme spricht die Gruppe davon, im Landtag Ohnmacht und Verzweiflung erlebt zu haben. Es habe an jenem Tag ein Gespräch anderer Studentenvertreter mit Minister Rößler gegeben. Aber die 14 bekamen weder vor Ort noch später die Chance eines Gedankenaustausches. „Verkrochen“ hätten sich die Abgeordneten. Auch Landtagspräsident Iltgen habe ein Angebot ausgeschlagen. Stattdessen hat er nach der Aktion ein Jahr Hausverbot im Landtag erteilt, und obendrein ermittelt der Staatsanwalt nun gegen sie. Jetzt sammeln sie Geld für ihr Verfahren, an dessen Ende auch ein Jahr Freiheitsentzug stehen könnte.

An ihren Zielen halten die Studierenden fest: Sie fordern ausreichende Finanzierung der Hochschulen, ein freies Studium ohne Gebühren und Sozialauswahl, den Erhalt der bedrohten Studentensozialwerke und das Recht, jeden Master-Studiengänge besuchen zu dürfen.

Als Straftäter zu gelten, das liegt ihnen schwer im Magen.