: Zwiespalt in Liebe und Prozess
Eifersucht, Männerstolz, Macht und eine Frau, die sich ihrem Schicksal überlassen hat: Das Landgericht verhandelt zurzeit über einen Fall, der als versuchter Auftragsmord angeklagt und im Grunde ein Familiendrama im Dreieckformat ist
von ELKE SPANNER
Es steht nicht einmal fest, dass es irgendwann einmal Liebe war. Es gibt ein gemeinsames Kind, aber keine Beziehung, verheiratet ist sie mit einem anderen. Trotzdem wird jetzt hier vorausgesetzt, dass es zwischen ihr und Walid H. einmal ernsthafte Gefühle gab. Denn sonst läßt sich gar nicht erklären, wieso Claudia D. mit auf der Anklagebank sitzt, der Vorwurf: versuchter Mord, das Opfer: ihr Mann.
Es ist, oder war, eine Dreiecksgeschichte. Claudia steht zwischen zwei Männern, erst in der Liebe, jetzt im Prozess. Ende zwanzig ist die heute 31-Jährige, als sie im Bayrisch Zell auf der Reeperbahn Imrli D. kennen lernt, Albaner, drei Jahre jünger, auch er auf der Suche nach einem Flirt. Sie kommen sich näher, wollen heiraten, da kommt er in Haft, ertappt bei Schwarzarbeit und illegalem Aufenthalt. Er ist neun Monate im Gefängnis, erst wenige Wochen sind um, als er einen Brief von Claudia bekommt: Es ist vorbei, teilt sie ihm mit, ich hab einen neuen und bekomme ein Kind.
Erst ist da nur Wut. Und verletzter Stolz. Und die Frage, wie der andere, auch ein Moslem, etwas mit der Freundin eines Mannes anfangen kann, der im Gefängnis sitzt. Imrli schreibt zurück, dass er keinen Besuch von Claudia mehr bekommen will. Das hält er eine Zeit lang durch, dann will er sie doch wieder sehen, und sie kommt. Irgendwann ist dann auch wieder eine Beziehung da, nur gelebt wird sie nicht. Imrli wird abgeschoben. Sie reist hinterher, es ist das Frühjahr 2001. Hochzeit in Mazedonien, die beiden Familien lernen sich kennen, großes Fest. Unter Claudias Kleid wölbt sich bereits sichtbar ihr Bauch.
Wann und warum es mit dem Liebhaber Walid H. zu Ende ging: Man weiß es nicht. Denn Claudia schweigt vor Gericht. Und Walid, Ägypter, 26 Jahre alt, behauptet, dass ein wirklicher Schlussstrich niemals gezogen worden sei. Er habe bei Claudia gewohnt, als Imrli im Gefängnis war. Fotos aus der Wohnung, auf denen er nur leicht bekleidet ist, gibt es zum Beweis. Er hätte auch kein Problem damit gehabt, dass sie einen anderen heiratete. Die ganze Zeit hätten sie weiterhin Kontakt gehabt, heimlich, mehrfach die Woche, die beiden händchenhaltend bei McDonald‘s, das Kind auf dem Spielplatz davor.
Die Version von Imrli: Eine ganz andere Geschichte. Mit Walid habe Claudia seit ihrer Hochzeit keinen Kontakt mehr gehabt, dessen Kind sei jetzt sein Kind, so stehe es im Gesetz. Sie seien eine glückliche Familie gewesen, nur eines hat gestört, nämlich Walid. Der habe sich mit der Trennung von Claudia nicht abgefunden und die Familie am Telefon bedroht. „Das ist jetzt meine Frau, lassen Sie uns endlich in Ruhe“, habe er dem Anrufer gesagt, und der habe erwidert: „Sie gehört mir.“
Angeblich, so erzählt es Walid, hätten die beiden Kontrahenten schon vor jenem verhängnisvollen Novembertag 2002 versucht, die Sache zu klären, auf ihre Weise. Wieder ein solches Telefonat. Diesmal das Angebot von Walid: „Claudia kann ich dir überlassen, nicht aber meinen Sohn.“ Gegenangebot von Imrli: „Wenn du wirklich ein Mann bist, komm her und wir regeln die Angelegenheit.“ Das Treffen soll nur daran gescheitert sein, dass Claudia Walid am Telefon angefleht habe, nicht zu kommen, ihr Mann meine es ernst.
Am 11. November 2002 dann treffen die beiden tatsächlich aufeinander, und für Imrli geht die Begegnung fast tödlich aus. Walid kommt mit einem Freund zur Wohnung der Familie in der Altonaer Goldbachstraße. Vorgetragener Grund: Er will Möbel abholen, die noch in Claudias Keller sind. Die schickt ihren Mann mit runter, damit der beim Tragen hilft. Zu dem Zeitpunkt weiß Imrli nicht, wer da vor ihm steht, und nimmt den Kellerschlüssel. Wenige Minuten später hört Claudia Hilferufe. Blutverschmiert liegt ihr Mann im 1. Stock. Walid hat ihn mit dem Messer niedergestochen.
Darüber, was sich im Keller ereignet hat, gibt es mehrere Versionen. Die eine erzählt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage: Claudia habe ihren Liebhaber dazu angestiftet, den Gatten umzubringen. Sie habe diesen sogar unter Vorwand in den Keller geschickt und ihn seinem Attentäter ausgeliefert. Walid hingegen sagt, er habe nur mit dem Freund zusammen seinen Schrank abholen wollen. Der Freund habe dann leichtsinnigerweise seinen Namen genannt, und als Imrli den gehört habe, sei er ausgerastet. Er habe das Messer gezogen und auf Walid eingestochen, der sich nur dadurch zu wehren gewusst haben will, den Widersacher selbst niederzustechen. Laut Imrli ist er nichts ahnend mit den beiden fremden Männern in den Keller gegangen und habe plötzlich das Messer zwischen den Rippen, dann am Kopf gehabt. Die Narben, die er davongetragen hat, verstärken den kalten Ausdruck seines Gesichts.
Claudia könnte alles aufklären, aber sie tut es nicht. Sie schweigt, und schon ihre Haltung im Prozess zeugt von dem Konflikt, in dem sie steckt. Leicht eingesunken sitzt sie da, behält die Jeansjacke an, als wolle sie gleich wieder gehen. Angst liegt in dem mädchenhaften Gesicht mit den roten Wangen, diese Unsicherheit ein krasser Gegensatz zu den auffälligen Fingernägeln, die sie selbstbewusst grün angemalt hat. Nicht einmal jetzt, wo der Konflikt so eskaliert ist, dass alle Beteiligten vor einem Trümmerhaufen stehen, schafft sie es, eine Entscheidung zu treffen, zwischen den Männern, die sie liebt oder vielleicht auch nicht.
Belastet sie Walid H., belastet sie den Vater ihres Kindes, der, das sagt auch sie, ein gutes Verhältnis zu seinem Sohn hat. Und der Angst macht, trotz des weichen Gesichts, denn zumindest im Affekt ist er zu Messerstichen bereit. Tut sie es nicht, nährt sie womöglich den Verdacht des Staatsanwaltes, sie selber könnte Mittäterin sein. Und nimmt sie Walid in Schutz, stellt sie sich damit gegen ihren Mann, mit dem sie wieder zusammenlebt. Dem Prozess liefert sie sich genauso aus wie zuvor der Situation. Handeln tun die anderen, die Männer, die sagen aus. Sie nicht.
Claudia verteidigt sich nicht einmal gegen den Vorwurf, selber eine Mörderin zu sein, deren Versuch nur gescheitert ist. Anhaltspunkt der Staatsanwaltschaft: Eine Freundin von Claudia soll so etwas angedeutet haben, gegenüber der Polizei. Die aber habe nicht von Claudia selbst gehört, dass sie ihren Mann „aus dem Weg räumen will“, sondern von Walid. Und der, räumt der Ankläger in einer Pause ein, könnte ein eigenes Motiv mitbringen, der Mutter seines Kindes die Verantwortung in die Schuhe zu schieben: Womöglich erhofft er sich dadurch das Sorgerecht für seinen Sohn zu erhalten. Der Staatsanwalt schließt nicht aus, dass sich die Anklage gegen Claudia im Laufe des Prozesses erledigen könnte. „Ich bin der böse Mensch, der Ihre Tochter auf die Anklagebank gesetzt hat“, begrüßt er die Mutter zu deren Aussage.
Die beschreibt eine Seite ihrer Tochter, die zuvor noch nicht zur Sprache gekommen ist. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die trotz ihrer unsteten Beziehungen viel Wert auf Familienleben legt und stark in ihre Familie eingebunden ist. Ihre Mutter spricht stets von ihrem „Schwiegersohn“, wenn sie von Imrli erzählt. Schon als der hier im Gefängnis war, hatte Claudias Mutter ihn regelmäßig besucht und finanziell unterstützt, und später hat sie ihre Tochter zur Ausländerbehörde begleitet, als diese darum kämpfte, dass ihr Gatte wieder einreisen darf. Und Claudia fährt täglich zu ihrer Mutter nach Eimsbüttel, um ihr bei der Pflege der Großeltern zu helfen. Auch in jener Nacht, als Imrli im Krankenhaus war und Walid auf der Flucht, zog sich Claudia zu ihrer Mutter zurück. „Sie war vollkommen in Panik“, sagt diese.
Wenn Walid, der seit November in Untersuchungshaft ist, für Jahre ins Gefängnis kommt, ist das für Claudia ebenso schlecht wie gut. Schlecht, weil das seine Wut auf die Ex-Freundin schüren kann und diese nach Aussagen ihrer Mutter jetzt schon Angst hat, dass Walid eines Tages den gemeinsamen Sohn entführt. Und gut, weil sie dann nicht länger zwischen den Stühlen sitzt. Weil dann die Umstände die Entscheidung zwischen den Männern treffen, zu der sie selber nicht in der Lage ist.