: S-Bahn fährt im Kreis geradeaus
Ab heute sind in Bus und Bahn Diskussionen mit Kontrollettis programmiert. Das Einzelticket gilt nur noch in eine Richtung. Was das genau bedeutet, ist nicht klar. Eine Vorabdiskussion mit dem VBB
VON RICHARD ROTHER
Im letzten Moment, kurz bevor die Türen schließen, springt ein Mann in die U-Bahn. Er ist Mitte 30, trägt ausgewaschene Jeans, eine Kunstlederjacke und Turnschuhe; breitbeinig und breitschultrig stellt er sich an die Stirnseite des Waggons, den Raum musternd. Als er in seiner Jackentasche nestelt, zuckt ein älterer Herr zusammen. „Die Fahrkarten, bitte!“, ruft der Mann schneidend durch den Raum und fuchtelt mit einem Ausweis herum. Dann verrichtet der Kontrolleur, kurz angebunden, seine Arbeit – vielleicht ist er heute schon Ihr Gesprächspartner.
Für den gemeinen Einzelfahrscheinkäufer kommt es von heute an nämlich mehr denn je auf Kommunikation an. Kommunikation mit dem schlagfertigen und „kulanten“ (Unternehmensjargon) Kontrollpersonal, das manchen Fahrgästen eher Angst als Vertrauen einflößt. Denn ab heute gibt es nur noch One-Way-Tickets; die beliebten Hin- und Rückfahrten mit einem Fahrschein haben die Verkehrsbetriebe gestrichen, um Mehreinnahmen zu erzielen. Eine Hin- und Rückfahrt kostet jetzt 4 statt bisher 2,20 Euro für das Zweistundenticket.
Allerdings kann man – in Grenzen – mehr mit dem neuen Einwegfahrschein machen als wie vorgeschrieben auf dem schnellsten Weg von A nach B fahren. Grund ist das gut verzweigte Nahverkehrsnetz mit seinen diversen Kombinationsmöglichkeiten. Die taz hat mehrere exemplarische Situationen und Fälle konstruiert und mit dem dafür zuständigen Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), der Dachorganisation der Verkehrsträger der Region, vordiskutiert.
Zu weit fahren: Wer, in eine Zeitung vertieft, aus Versehen zu weit fährt, hat Pech gehabt. Er muss ein neues Ticket lösen, um zurückzufahren. „Sie könnten das sonst nie kontrollieren“, sagt VBB-Sprecherin Sabine Vogel.
Umsteigen: Wer beim Umsteigen einen Espresso trinken oder sein Gesicht kurz in die Sonne halten will, dürfte auch in Zukunft kein Problem bekommen.
Besorgungen: Auch wer auf seinem Weg kurze Besorgungen macht, fährt nicht gleich schwarz, wenn es weitergeht. Auch das One-Way-Ticket ist zwei Stunden lang gültig.
Rundfahrten: Klassische Rundfahrten sind verboten, da der Nutzer an seinen Ausgangspunkt zurückkehren würde. Das widerspricht der neuen Tarifphilosophie. Etwa die Strecke Schönhauser Allee–Ostkreuz–Alex–Schönhauser Allee. Oder die Tour Leopoldplatz–Friedrichstraße–Zoo–Leopoldplatz.
Der S-Bahn-Ring: Auch wer den S-Bahn-Ring benutzt, muss den kürzesten Weg fahren. Eine Ausnahme kann erlaubt sein, wenn der Zug in die „falsche“ Richtung zuerst kommt. Faustregel: Wer mehr als drei Viertel des Kreises gefahren ist, bekommt Legitimationsprobleme. Bei der S-Bahn hieß es gestern allerdings, eine Fahrt um fast den ganzen Ring herum sei erlaubt – bis eine Station vor der Ringschließung. Viel Diskussionsbedarf also.
Unklar bleibt häufig, was der direkte, reiseübliche und fahrplanbedingte Weg sein soll. Ein paar Beispiele verdeutlichen die Interpretationsmöglichkeiten:
Rudow–Pankow: Der direkte Weg: U 7 bis Hermannplatz, die U 8 bis Alex, U 2 bis Pankow. Erlaubt wäre nach VBB-Auskunft aber auch folgende Strecke, weil man etwa am Checkpoint Charlie noch ein Foto schießen möchte: U 7 bis Mehringdamm, U 6 bis Stadtmitte, U 2 bis Pankow.
Frankfurter Tor–Ostbahnhof: Der direkte Weg: Straßenbahn bis Warschauer Straße, dann S-Bahn in Westrichtung bis Ostbahnhof. Erlaubt wäre auch, die U 5 zum Alex (Einkaufen!) zu nehmen, dann die S-Bahn zurück zum Ostbahnhof. VBB-Frau Vogel: „Sie könnten sogar über Frankfurter Allee und Ostkreuz fahren, wenn sie mögen!“
Wittenbergplatz–Hermannplatz: Der direkte Weg: U 1 bis Möckernbrücke, U 7 bis Hermannplatz. Erlaubt ist aber auch die Fahrt mit dem 129er-Bus.
Rathaus Steglitz–Schwartzkopffstraße (am ehemaligen Stadion der Weltjugend in Mitte): Direkter Weg: S 1 bis Friedrichstraße, U 6 bis Schwartzkopffstraße. Ebenfalls erlaubt: U 9 (über Zoo!) bis Leopoldplatz, U 6 bis Schwartzkopffstraße.
Potsdam Hauptbahnhof–Flughafen Tegel: Direkter Weg: Regionalbahn bis Zoo, dann Expressbus zum Flughafen. Nicht erlaubt: S 1 bis Friedrichstraße, U 6 bis Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf, dann Bus zum Flughafen. Allerdings: bis Kurt-Schumacher-Platz kein Problem.
Strausberg–Olympiastadion: Der direkte Weg: S 5 von Strausberg zum Olympiastadion. Ebenfalls erlaubt, und wegen Bauarbeiten ausdrücklich empfohlen: S 5 bis Ostkreuz, dann auf dem S-Bahn-Ring bis Westkreuz, S 5 bis Olympiastadion.
Fazit: Wer mit dem künftigen One-Way-Ticket unterwegs ist, hat noch Kombinationsmöglichkeiten. Auch kurze Besorgungen, die etwas abseits vom direkten Weg von A nach B liegen, sind möglich, wenn ein Bogen gefahren wird. Aber Achtung: Wie weit dieses „etwas“ geht, entscheidet eher der Kontrolleur als der Fahrgast. Echte Abstecher sind untersagt, da sie eine Rückfahrt bedeuten würden. Nahezu unmöglich ist es, mit einem Ticket wieder in die Nähe des Ausgangspunkt zu gelangen. BVG, S-Bahn und VBB haben also ihr Ziel erreicht: Die beliebten Hin- und Rückfahrten mit einem Fahrschein sind jetzt Vergangenheit.