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Archiv-Artikel

Väter und Söhne

Minimalistische Bilder aus Wind und Regen, Autofahrt und Staub: Andrei Swjaginzews Filmdebüt „Die Rückkehr – The Return“ schiebt seine Bedeutungsüberschüsse dezent in den Hintergrund

von BIRGIT GLOMBITZA

Vielleicht ist der Vater im Krieg. Oder er sitzt seit zehn Jahren im Gefängnis. Möglicherweise hat er so viel zu tun, ist er ständig in so heiklen Missionen unterwegs, dass er seine Familie darüber vergessen hat. Oder er ist tatsächlich ein Pilot, wie die Mutter den beiden Jungen Andrei (Wladimir Garin) und Iwan (Iwan Dobronrawow) weismachen will – womit sie tollkühne Kinderträume von draufgängerischen Helden ankurbelt. So oder so, das Familienoberhaupt bleibt ein Phantom, zu dem sich weder eine endgültige Vorstellung noch eine verlässliche Emotion addieren lassen.

Als der unbekannte Vater (Konstantin Lawronjenko) eines Sonntags auftaucht, mischt er mit seinem Herrschaftswillen das bewährte Gefüge aus Babuschka-Mutter und Kindern auf. Die Söhne bezweifeln seine Identität und Berechtigung. Ein Vergleich mit der schemenhaften Gestalt auf einem alten Familienfoto muss als Beweis reichen. Die wuchtige Zeichnung von Abrahams Opferung des Isaak gleich daneben gibt jedoch weitaus mehr Aufschluss über Vaterschaft und die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Zuwendung und Autorität. Denn kaum zurückgekehrt, macht sich das Oberhaupt daran, die alte patriarchale Ordnung wieder herzustellen. Regeln ersetzen notdürftig Vertraulichkeiten. Schnell verhängte Strafen machen langwierige Gespräche überflüssig. Der Vater bestimmt, wann man isst und schläft. Und er ordnet einen gemeinsamen Ausflug an – damit man wenigstens einmal zusammen angelt wie andere Väter und Söhne auch.

Aus dem Ausflug, bei dem sich in albernen Mutproben der Trotz der Söhne schon gefährlich an der Befehlsmacht des Vaters reibt, wird eine düstere Abenteuerfahrt. Eine Reise zu einer Insel, irgendwo in der nordrussischen Seenlandschaft, abgelegen und menschenleer. Der ideale Ort, um in biblischen sieben Tagen Zivilisation zu spielen und die Anfänge aller menschlichen Beziehung als körperlichen wie seelischen Härtetest zu erfahren. Die Widerstandskraft der Söhne gegen die Herausforderung der Natur, aber auch gegen die Härte des Oberhaupts wird auf die Probe gestellt. Sieben Tage, in denen die Jungen sich am Ende der Kindheit selbst als Erwachsene erschaffen. Eine Initiation aus Schuld, Angst und dem Mut zur Selbstüberwindung. Iwan und Andrei sind davongekommen, auch ohne die Anweisungen des Kriegers, des Gefangenen oder des Piloten. Sie haben die Überquerung des Sees allein gemeistert. Durchweicht vom Sturm, erschöpft von den Widerständen, auf dem Weg zur Autonomie. Die Krise der väterlichen Autorität kann ihnen nichts mehr anhaben. Die Erinnerung der Jungen wird den Vater als Phantom einer rätselhaften Begegnung entlassen. Auf den alten Schwarzweißfotos hinterlässt er nicht mehr als einen blinden Fleck.

„Die Rückkehr“ von Andrei Swjaginzew, der letztes Jahr in Venedig den Goldene Löwen erhielt, knüpft auf den ersten Blick an das große russische Autorenkino an. Mit seiner symbolischen Schwere, seinen mythischen Aufladungen, seiner Strenge und Intensität. Dass Swjaginzew dennoch daran liegt, sich ein neues Terrain zu erschließen, erkennt man an der eigenwilligen Mischung aus Präzision und Leichtigkeit, mit der er sich ans Werk macht. Und die erinnert wiederum mehr an Filme von Jacques Doillon als an die von Andrei Tarkowski. Swjaginzews minimalistische Bilder aus Wind und Regen, Autofahrt und Staub und die erzählerische Eleganz verteilen Bedeutungsüberschüsse diskret in den Hintergrund. Bis schließlich in den letzten Szenen alle Allegorien zu alttestamentarischen Opfergängen, alle gegenwärtigen Bezüge zu einem ideologisch vaterlosen Russland, dessen Staatschef jeden Widerspruch hart straft, in einem dezenten Bild zum Ende kommen: in der Rückkehr der Davongekommenen, der Rückkehr der Söhne.