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Archiv-Artikel

Nebengezwitscher

Vom Regen bedroht: Die Atmosphäre der Höge erweist sich als Chance und Risiko der Komponistinnentage

Dasselbe Stück in sieben Versionen – das istein bisschen viel

Die Oma wird weggeschubst und die Mama muss her. Die allerdings erlebt gerade die Uraufführung ihres Stückes „quelle also“. Die beiden Kleinen am Rockzipfel hindern Annette Schlünz nicht daran, die auf der Wiese spielenden InterpretInnen zu filmen, seelenruhig macht sie das.

In den leisen und pausenreichen Wahrnehmungsstudien „Basics“ und „Siebenschlaf“ von Kirsten Reese gewinnt das Vogelgezwitscher allmählich die Oberhand, und als tiefe Frequenzen sich breit zu machen versuchen, werden sie vom erregten Pferdegewieher übertönt. So ist das auf der Höge, mit ihrem in der Festivallandschaft einzigartigen Charme und der entsprechenden kommunikativen Atmopshäre. So war das zweite internationale Komponistinnenfestival mit dem geheimnisvollen und doppeldeutigen Titel „Mitten am Rand“, auch ständig vom Regen bedroht. Kuratiert von Marita Emigholz waren zahlreiche Festivalbeiträge für draußen geplant gewesen: Aber irgendwie ging’s dann doch, mit Innen-Außen-Nein, Doch-wieder-drinnen-, In-fünf-Minuten-können-wir-raus-Verwirrungen.

Die Komponistinnen Kirsten Reese, Karmella Tsepkolenko und Juliane Klein arbeiteten im vergangenen Jahr auf der Höge, Annette Schlünz ist dieses Jahr sechs Monate dort: Nicht immer wird der Zusammenhang zwischen ihren wortreich beschriebenen Stücken und der erklingenden Musik klar, ein bisschen ist sie in der Gefahr des l‘art pour l‘art. Tsepkolenko aus der Ukraine mit ihrer etwas hausbackenen Ästhetik passte nicht so ganz in den experimentellen Ansatz der Höge. Dafür aber konnten die MusikerInnen des Oldenburger O-Ton-Ensembles in ihren dramatischen Werken durch Virtuosität glänzen.

Die Berlinerin Juliane Klein beherrscht ihr kompositorisches Handwerk, überzeugt aber nicht immer, weil manches verspielt und wenig stringent erscheint. Die geradezu inflationäre Präsenz ihres Stücks „Aus der Wand die Rinne“, das sie sich nach einer gleichnamigen Skulptur ausgedacht hat, verführte kaum dazu, in ihre Klangwelten einzusteigen: Es handelt sich dabei um sechs Solostücke für Cello, Violine, Akkordeon, Klavier, Karinette und Saxophon, die in allen Kombinationen bis zum Sextett gespielt werden dürfen. Auf der Höge in sieben Fassungen zu ertragen – eindeutig zu viel. Mit „Lass...“ für Flöte und Blockflöte zeigte Klein ein viel individuelleres Profil: Feinsinnig ihr Umgang mit Pausen, die das Vergangene deuten und das Kommende „einfärben“.

Aufregend war die Begegnung mit der jüngsten, der 1968 geborenen Kristen Reese. Diese hatte zwölf in der Scheune hängende Lautsprecher mit Alltagsgeräuschen bestückt und ergänzte die durch aufgelegtes Tonmaterial zu einer ganz eigenen Klanglichkeit– eine Wahrnehmungsstudie von intensiver Originalität.

Ute Schalz-Laurenze