: Auf dem Strommarkt stimmt das Wetter nicht
Skandinavische Stromkonzerne begründen steigende Preise mit Wasserknappheit. Kritiker: Liberalisierung ist schuld
STOCKHOLM taz ■ Der Sommer sonnig, der Winter trocken, das Frühjahr ohne die üblichen Regenschauer – das Wetter der letzten Monate hat die ansonsten kummergewohnten NordeuropäerInnen richtig verwöhnt. Die Kehrseite: Das Wetter soll an derVerdreifachung der Strompreise schuld sein.
Dank des traditionell niedrigen Preisniveaus waren Stromheizungen preislich durchaus konkurrenzkräftig im Vergleich zu Holz- oder Ölzentralheizungen. Zumindest bis zum letzten Herbst. Die Strompreise lagen im Norden jahrzehntelang weit unter dem resteuropäischen Niveau. Und das hatte einen vorwiegend nassen Grund: Wasserkraftwerke sorgen für einen Anteil am Strommix von über 50 Prozent – so in Finnland und Schweden – oder gar 95 Prozent in Norwegen. Viele Wasserkraftwerke sind zwischen den Zwanziger- und Sechzigerjahren errichtet worden und haben ihre Baukosten längst amortisiert. Die Produktionskosten liegen nun nahe null, für die Eigentümer richtige Goldesel.
Normalerweise herrscht in Skandinavien kein Wassermangel. Schneeschmelze und die üblichen Sommerregenperioden Füllen die Staubecken randvoll, bis die kilowattverschlingende Heizperiode anbricht. Doch im letzten Jahr ging diese Rechnung nicht mehr auf. Nach einem zweiten extrem schneearmem Winter in Folge erlebte Skandinavien einen Jahrhundertsommer. Während Deutschland mit der Flut kämpfte, bilanzierte Nordeuropa einen der trockensten und wärmsten Sommer seit Jahren. Statt zu 90 Prozent waren im Herbst die meisten Staubecken nur zu 65 Prozent gefüllt. 20 bis 30 Prozent der üblichen Wasserkraftreserven fielen damit aus.
Die Wasserkraftproduktion wurde deshalb zwar keine Öre teurer, doch die Knappheit hatte Folgen auf dem Markt: ein historisches Hoch bei den Strompreisen. Und nicht nur die Endkunden, sondern auch viele der nach der Liberalisierung des Strommarkts aus dem Boden geschossenen Stromlieferfirmen ohne eigene Produktion kamen in akute Bedrängnis. Sie hatten langfristige Lieferverträge einzuhalten, mussten sich selbst aber zu teuren, oft wesentlich höheren Tagespreisen eindecken. Einigen ging dabei der Atem aus.
Am teuren Strom wird sich absehbar nichts ändern: Mindestens für 18 weitere Monate annoncierte gerade Vattenfall weiterhin Wassermangel. Jetzt sind angeblich ausbleibende Frühjahrswolkenbrüche schuld daran, dass Produktionsengpässe für den kommenden Winter zu erwarten sind. Wenig Schnee und trockene Sommer gab es auch schon früher – zuletzt herrschte 1996 eine ähnliche Großwetterlage. Neu ist, dass die Stromkonzerne plötzlich so intensiv vom Wetter reden.
Verbraucherschutzorganisationen machen für das Strompreisniveau nicht das Wetter verantwortlich, sondern sehen die Ursache in der Liberalisierung der Strommärkte. Die nun international agierenden Stromkonzerne hätten die Preise künstlich nach oben getrieben, werfen KritikerInnen vor. Ein Grund für die Wasserknappheit sei nämlich, dass in den Sommermonaten, wo sonst gespeichert wurde, kräftig Strom aus den Wasserkraftturbinen nach Mitteleuropa exportiert wurde. Angesichts der Liberalisierung hätten skandinavische Stromkonzerne keinen Grund mehr, auf Versorgungssicherheit oder konsumentenfreundliche Preise zu Hause Rücksicht zu nehmen.
Die Bilanzen bestätigen dies. Unternehmen, welche auf dem Markt sowohl als Produzenten wie Lieferanten auftreten, machen mit Hilfe der angeblich plötzlich knapp gewordenen Ware Strom nämlich glänzende Gewinne. Bei Vattenfall schnellte der beispielsweise für das vierte Quartal 2002 mit einem Rekord von 81 Prozent in die Höhe.
REINHARD WOLFF