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Archiv-Artikel

Null Zinsen

VON BEATE WILLMS

Lehrbuch und bewährte Maßnahmen waren gestern. In Zeiten der Krise gilt auch für die Geldpolitik: neue Wege finden. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat es am Dienstagabend vorgemacht, als sie ihren Leitzins von 1 Prozent auf eine Zinsspanne von 0 bis 0,25 Prozent senkte, um die Kreditvergabe wieder in Schwung zu bringen und eine tiefe Depression abzuwenden. Dieses Niveau, so Fed-Chef Ben Bernanke, werde man „einige Zeit“ beibehalten. Prompt gerieten andere Zentralbanken unter Zugzwang. Die Notenbank von Hongkong kappte ihren Leitzins am Mittwoch um 1 Prozentpunkt auf 0,5 Prozent. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB), deren Leitzins derzeit bei 2,5 Prozent liegt, sah sich mit Forderungen konfrontiert, schnell nachzuziehen – am besten noch bei ihrer Ratssitzung am heutigen Donnerstag.

In den USA ist der Leitzins nun auf dem niedrigsten Stand seit 1971. Experten bezeichneten die Nullzinspolitik der Fed als „preispolitischen Offenbarungseid“, einige sprachen von einem „Verzweiflungsschritt“, andere nannten es „mutig“, beinahe alle „unausweichlich“.

Die Aufgabe der Geldpolitik ist je nach Ausrichtung der Zentralbank unterschiedlich. Im Großen und Ganzen geht es darum, das Preisniveau zu stabilisieren und Wachstums- und Beschäftigungsziele zu unterstützen. Ein wichtiges Mittel hierzu ist die Zinspolitik: Ein niedrigerer Zinssatz verbilligt Kreditaufnahmen und kurbelt so die Wirtschaft an. Jedenfalls nach dem Lehrbuch. Tatsächlich hakt es derzeit überall: Die Banken leihen sich untereinander kein Geld – und sie haben die bisherigen Zinssenkungen kaum weitergegeben: Obwohl der Leitzins der Fed von Sommer 2007 bis Oktober 2008 bereits von 5,25 auf 1 Prozent gefallen war, sanken beispielsweise die Sätze für Hypothekendarlehen nur von 6,11 auf 5,47 Prozent.

Die erneute drastische Absenkung bedeutet deshalb wohl auch, dass die Fed noch von einer anderen Angst getrieben wird: Sie fürchtet eine Deflation, einen Preisverfall auf breiter Front, der zu einer lange anhaltenden und schwer zu durchbrechenden Abwärtsspirale führen kann.

Mit einem faktischen Zinssatz von 0 Prozent hat die Fed nun allerdings auch sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft. Deshalb kündigte Fed-Chef Ben Bernanke an, zugleich zu außergewöhnlicheren Maßnahmen zu greifen: Er will den Banken mehr Wert- und Hypothekenpapiere abkaufen. Diese Transaktionen gehören auch zum normalen Geschäft von Notenbanken, sind dann aber strikt reguliert: Akzeptiert werden nur hochwertige Papiere, die einen realen Gegenwert für das in Umlauf gebrachte Geld bieten. Nun will die Fed jedoch praktisch alles annehmen – auch Anleihen der bankrotten staatlichen Hypothekenfinanzierer Fanny May und Freddie Mac, die kaum noch etwas wert sind.

„Das heißt, dass die Fed Geldpolitik jetzt über die Notenpresse betreibt“, sagt Commerzbank-Analyst Bernd Weidensteiner. Die Fed druckt also Geld ohne Absicherung. Damit ist auch die Währung nicht mehr gegenfinanziert. So gab es auf den Devisenmärkten nur noch 0,708 Euro für einen US-Dollar, so wenig wie seit zweieinhalb Monaten nicht mehr.

Immerhin scheint die Aktion der Fed dort Erfolg zu haben, wo es am wichtigsten ist: Als erste Geschäftsbanken senkten Wells Fargo, Wachovia und U.S. Bancorp ihre Zinsen von 4 auf 3,25 Prozent. Weitere wollen folgen.

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