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Archiv-Artikel

Wenn das „Ministerium der Straße“ herrscht

Die UN-Mission in der Elfenbeinküste hat begonnen. Über 6.000 Blauhelme werden in dem westafrikanischen Land stationiert. Sie kommen in eine Krisenregion, wie die brutale Niederschlagung einer Friedensdemonstration zeigt

ABIDJAN taz ■ „Wir sind alle Brüder – lasst uns die Waffen niederlegen!“ Dieses Plakat klebt das an vielen Wänden in Abidjan. Aber die Waffen blieben nicht liegen, wie die Niederschlagung einer Friedensdemonstation in der ivorischen Hauptstadt Ende März zeigte. Es waren nicht nur private Milizen, die Macheten und Kalaschnikows aus ihren Verstecken holten. Präsident Laurent Gbagbo ließ sogar Kampflieger und Militärhubschrauber aufsteigen und Militärs und Gendarmen mit Maschinengewehren bewaffnen. Die Bilanz des Schreckens: wahrscheinlich über 200 Tote. Die genaue Zahl kennt keiner. Leichen seien systematisch aufgesammelt und schnell begraben worden, zitiert die Abidjaner Tageszeitung Le Jour einen UNO-Beamten im Land.

In der Wirtschaftsmetropole der Elfenbeinküste kursieren Berichte über Massengräber. Spurensucher kommen erst Tage später an die angeblichen Fundstätten, um nach den Toten zu suchen. Offiziellen Angaben zufolge wurden bislang keine Massengräber gefunden. Dabei wäre es nichts Neues für das Land, das einst als Insel der Stabilität in einem unruhigen westafrikanischen Umfeld galt. Mit Beginn der Präsidentschaft von Gbagbo im Herbst 2000 kam es bei anschließenden Demonstrationen zu mehreren hundert Toten.

Für die Akteure der vor anderthalb Jahren gestarteten Rebellion, die zur Teilung des Landes führte, hat die Gewalt des Gbagbo-Regimes System. „Das Regime wurde mit Blutvergießen geboren, führte mit Blutvergießen die Geschicke des Landes und versucht sich nun mit Blutvergießen an der Macht zu halten“, sagt Soro Guillaume, der politische Kopf der in „Neue Kräfte“ umbenannten Rebellen. Sieben politische Strömungen von den zehn Unterzeichnern des Friedensabkommens vom Januar 2003 beteiligen sich seit der Demonstration nicht mehr an der Regierung der nationalen Einheit. Die Oppositionsparteien fordern den Rücktritt Gbagbos. Eine wachsende Gruppe innerhalb des Oppositionsblock bezweifelt, dass der Friedensplan mit dem jetzigen Staatsoberhaupt noch umsetzbar ist.

Eine merkwürdige Rolle spielt Sicherheitsminister Martin Bleou. In unabhängigen Medien wundern sich Kommentatoren über seine groteske Wandlung vom Paulus zum Saulus. Einst Präsident der ivorischen Menschenrechtsliga, spricht der Jura-Experte und Professorenkollege Gbagbos weiter unbeirrt von 37 Toten bei der Demonstration. Die Oppositionsparteien, die angesichts der Sabotagepolitik des Präsidenten zur Umsetzung des Friedensplans aufgerufen hatten, beschuldigen die Uniformierten des Mordes an bis zu 500 Menschen. Diplomaten sprechen von etwa 200 Toten. Die UNO schicken nun eine Mannschaft, die Vorgänge untersuchen soll.

Bewohner von Stadtvierteln, die als Hochburgen von Gbagbo-Kritikern gelten, klagen über nächtliche Razzien von Militärs und den gefürchteten Milizen. Bereits in früheren UN-Berichten werden Schläger- und Killerkommandos im Umfeld des Präsidentenehepaars für die Gewalt und Tötungen verantwortlich gemacht. An der Existenz dieses Straßenmobs hat das nichts geändert. In der Elfenbeinküste fällt oft das geflügelte Wort vom „Ministerium der Straße“, wenn der Staatschef mal offener, mal versteckter, auch den tausenden Franzosen in der ehemaligen Kolonie droht, wenn die Regierung in Paris sich zu kritisch äußert. Dem mittlerweile knapp ein Jahr alte Einsatz des französischen Militärs liegen auch die massiven Präsenz französischer Bürger und wirtschaftliche Interessen zugrunde.

Den über 4.000 französischen und über 1.000 westafrikanischen Soldaten werden nun 6.240 Blauhelme gemäß Resolution 1.528 des UNO-Sicherheitsrats zur Seite gestellt werden. Aber bei vielen Menschen halten sich die Hoffnung auf ein baldiges Nachlassen der Gewalt und einer Versöhnung in Grenzen. Bereits die französische Mission hatte den Schutz der zivilen Bevölkerung vor Gewalt auf ihre Fahnen geschrieben. Angesichts der Toten bei der Demonstration wirkt das wie ein Hohn. In dieses gesellschaftspolitische Klima gegenseitigen Misstrauens oder gar Hasses kommen nun die Blauhelme. Dennoch geht die UNO von einem Erfolg aus. „Wir haben ein äußerst robustes Mandat. Ereignisse wie die Tage der Demonstrationen werden wir nicht hinnehmen“, sagt Jean Victor Nkolo, Sprecher der UNO-Mission UNOCI. Das aber würde Gbagbo ein wichtiges Instrument nehmen: die Macht der Straße. Und er wehrt sich schon jetzt mit allen Mitteln gegen die Beschneidung seiner Macht – wie auch der Umsetzung des Friedensplans. HAKEEM JIMO