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Archiv-Artikel

Die Stadt, die niemals schläft

85 Prozent der New Yorker, die im Jahr 2001 bei der städtischen „Quality of Life“-Hotline anriefen, beschwerten sich über Lärm. Deshalb wurde die „Operation Stille Nacht“ gegründet. Ein Lärmreport

Es ist der einzige Kampf, der Michael Bloomberg noch geblieben ist

von EVA SCHWEITZER

New York ist die Stadt, die niemals schläft. Das liegt vor allem daran, dass sie so laut ist. Tag und Nacht sind erfüllt vom Brummen der Klimaanlagen, von den dumpf dieselnden Bussen der MTA – der Metropolitan Transit Authority – den Rudeln von Taxis, die bereits in der Sekunde ungeduldig hupen, in der es grün wird, den Müllautos, die mit dröhnendem Motor die Abfallsäcke an Ort und Stelle zermahlen und dann ganz langsam, wummernd, zur nächsten Ecke fahren, während sich die Müllwerker die Baseball-Ergebnisse des Vortags zubrüllen. Und von den car alarms, den Sirenen, die angeblich das Auto bewachen. Die car alarms heulen bereits auf, wenn ein Kind das Auto anguckt oder wenn es anfängt zu regnen. Und natürlich die Baustellen. Ich weiß das, denn meine Wohnung liegt genau zwischen zwei Baustellen: einem 850-Betten-Hotel und einer renovierungsbedürftige U-Bahn-Station.

85 Prozent der 97.000 New Yorker, die im Jahr 2001 bei der städtischen „Quality of Life“-Hotline anriefen, beschwerten sich über Lärm. Ein Jahr später überschritt die Zahl der Lärmleider die 100.000er-Grenze. Deshalb hat Michael Bloomberg, der Bürgermeister, die „Operation Stille Nacht“ ins Leben gerufen. Es ist der einzige Kampf, der Bloomberg – neben dem Krieg gegen das Rauchen – noch geblieben ist, nachdem sein Vorgänger Rudy Giuliani mit Bettlern, Obdachlosen, Prostitutierten, Sozialhilfeempfängern, Schwarzfahrern und Graffitisprühern aufgeräumt hat.

Genau an dem Tag, an dem Bloomberg seine Pressekonferenz gab, machte unsere U-Bahn-Baustelle auf, und zwar abends um neun. Nachts um eins dröhnen die Presslufthämmer immer noch. Ich rufe Bloombergs „Quailty of Life“-Hotline an. Die Hotline verspricht, sich zu erkundigen, ob die Baustelle über eine Nachtarbeitsgenehmigung verfüge, wenn nicht, werde man die Polizei vorbeischicken. Eine Stunde später hat der Lärm noch nicht nachgelassen. Die Hotline kann sich an meinen ersten Anruf nicht erinnern, gibt mir aber die Nummer der Polizei, damit ich mich selbst darum kümmern kann. Die Polizei schlägt vor, ich solle doch zur Baustelle hinuntergehen und mich erkundigen, wie lange die Arbeiten noch dauerten. Dort unten, an der Eighth Avenue, sind gerade zwei Arbeiter mit Helmen, Kopfhörern und Mundschutz dabei, in ein zuvor gehämmtes Loch im Bürgersteig nach unten zu steigen. Sie hätten vor, bis nachts um vier zu arbeiten, sagen sie. Und das gehe auch noch etliche Wochen so weiter. „Muss ja gemacht werden. Fällt sonst alles auseinander.“

Bloomberg hat die 24 Viertel auflisteten lassen, aus denen die meisten Beschwerden kommen. Er will außerdem die Lärmschutzgesetze – die aus dem Jahr 1972 stammen – an die modernen Zeiten anpassen. Die Polizei wird mit Lärmmessgeräten ausgestattet, damit kann sie Kneipen, deren Gäste nachts betrunken herumgrölen, Jugendlichen mit Ghettoblastern und car alarms hinterherspüren. Strafen zwischen 45 und 25.000 Dollar (für Kneipenbesitzer) sind angedroht. Gibt so ein Auto gar keine Ruhe, könne es auch abgeschleppt werden, verspricht Bloomberg. Notfalls sogar beschlagnahmt.

Am näcnsten Morgen ist die U-Bahn-Baustelle verwaist, dafür aber schleifen Arbeiter an der Hotelfassade herum. In weiser Voraussicht hat unsere Hausverwaltung die Telefonnummer des Community Boards, der Anwohnervertretung, verteilt. Unser Community Board deckt den Bereich von Chelsea bis Central Park, von der Lexington Avenue bis zur Eighth Avenue ab, der gemeinhin als „Midtown Manhattan“ bekannt ist. Beim Community Board 4, das für Hell’s Kitchen fünf Meter westlich von meiner Wohnung zuständig ist, sitzen erfahrene Häuserkämpfer, die mir bereits zweimal unaufgefordert die Richtlinie „Wie und wo beschwert man sich, wenn die Heizung kaputt ist“ zugemailt haben (in meiner Wohnung hat es 28 Grad, weil ich wegen des Lärms das Fenster nicht öffnen kann, und die Heizungen in New York sind nicht abdrehbar), aber wir gehören zum Community Board 5.

Cindy Perez arbeitet für das Community Board 5. Oh ja, das Hotel an der Eighth Avenue. „Die arbeiten auf Deadline, deshalb geht das immer bis in den Abend. Wenn wir dem Building Department Bescheid sagen, schicken die zwar jemanden vorbei, aber sobald die weg sind, fangen die Bauarbeiter wieder an.“ Dann holt sie Kathy Kinsella ans Telefon, die Vorsitzende des Boards. „Wir sind keine Strafverfolger, wir können nur die Behörden informieren“, sagt Kinsella. Die meisten Lärmbeschwerden hätten mit Verkehr zu tun. „Auch mit Mülllastwagen.“ Eine Ärgerquelle größeren Ausmaßes ist auch die Baustelle für das neue Hauptquartier von Bloomberg, die Firma unseres Bürgermeister (er leitet die Stadt nur so nebenbei, als Hobby). „Da hört man die Presslufthämmer zehn Blocks weiter, sogar wenn man den Walkman aufhat“, schrieb kürzlich ein erboster New Yorker an die Times.

Ein paar Nächte später dröhnt es wieder von der U-Bahn-Baustelle hoch. Das Hotline-Telefon gibt mir nun die Notfallnummer der MTA. Es stellt sich heraus, dass unter dieses Nummer die U-Bahn-Polizei zu erreichen ist, und die betrachtet Baustellen nicht wirklich als Notfall. Am nächsten Morgen bekomme ich endlich die MTA an die Strippe und werde zu einem Mann weitergeschaltet, der sich sich meine Auslassungen notiert (hoffe ich), verspricht, sich nach der Baustelle zu erkundigen und zurückzurufen. Sein Name sei Abraham Puthota. Wo er denn herkomme? „Aus Indien,“ sagt er. Ich werde ein ganz klein wenig misstrauisch, denn in Indien sitzen die US-Callcenter, deren einziger Job es ist, Meckerer abzuwimmeln.

Ganz oben auf der Liste des störenden Lärms stehen – neben Handybesitzern bei Starbucks, die von Bloombergs Strafkatalog aber noch ausgenommen sind – die car alarms. Car alarms sind schwer zu fassen, denn sie tröten ja immer bloß ein paar Minuten. In New York kann es eine halbe Stunde dauern, bis der Notarzt bei einem blutenden Unfallopfer eintrifft, man kann sich also ausrechnen, wie hoch ein einzelner car alarm auf der Prioritätenliste der Polizei rangiert. Der New Yorker schlug vor, Autobesitzern ein Halsband umzulegen, das elektrische Schläge austeilt, solange der car alarm lärmt, aber das ist gegen die Autolobby nicht durchsetzbar.

Was aber dann? Jerry Russo, der Pressesprecher von Bloomberg, sagt, der wach gewordene Bürger solle sich eben notieren, welche Autos des öfteren falschen Alarm schlügen, und dann die Polizei rufen. Nachts um vier im Hemd auf die Straße laufen, um ein Kennzeichen zu notieren? Ich wohne im zwölften Stock! In Midtown! Warum werden car alarms nicht einfach verboten? „Weil sie ein Schutz gegen Diebstahl sind.“ Ein Schutz? Nicht mal der Besitzer guckt aus dem Fenster, wenn sie losgehen.

Wenigstens ruft eine Woche später Abraham Puthota aus Indien an. Er habe seine Männer angewiesen, so gegen zwei Uhr nachts den Krach einzuschränken. Aber die Baustelle als solche, das werde noch etwas dauern. „An der U-Bahn-Station ist seit 70 Jahren nichts mehr gemacht worden.“ Tatsächlich gehen die Presslufthämmer jetzt früher schlafen. Dafür ist es jemand anders eingefallen, das Müllauto von ein Uhr nachts auf drei Uhr nachts zu verlegen. Und das braucht eine halbe Stunde, die vielen Müllsäcke zu zermalmen.