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Archiv-Artikel

Partyhauptstadt entdeckt den Stil

Die australische Touristenmetropole Cairns in Nordqueensland hat in den letzten Jahren eine positive Verwandlung durchgemacht. Die Stadt ist ökologischer, qualitätsbewusster und begehrter geworden. Das alte Cairns der wippenden Busen und der Trinkgelage gibt es aber weiterhin

VON URS WÄLTERLIN

So mancher deutsche „Babyboomer“ schwelgt in Erinnerungen, wenn er von seiner Zeit in Cairns spricht, damals, als junger Rucksackreisender auf dem Trip um die Welt. Generationen von jungen Besuchern haben sich in der heimlichen Partyhauptstadt Australiens die Hörner abgestoßen. Die Tropenstadt im Norden des Bundesstaates Queensland hatte lange Zeit auch nicht viel mehr zu bieten als Bier, Busen und Sonnenbrand. Cairns war in erster Linie ein Durchlauferhitzer für Touristen, die das vor der Küste liegende Great Barrier Reef sehen wollten. Mit negativen Konsequenzen. Die Architektur litt unter dem Bauboom. Nicht nur Immobilienmakler, auch viele Tourismusunternehmen wollten möglichst rasch reich werden und boten oft wenig Qualität. Cairns prostituierte sich für den Touristendollar.

Doch das ist Geschichte. In den letzten Jahren hat die Stadt eine drastische und überaus positive Wandlung durchgemacht. Die Stadtväter haben gemerkt, dass der Reisende von heute wesentlich mehr Ansprüche stellt – und dafür zu bezahlen bereit ist. Das „neue“ Cairns ist nicht einfach eine alte Hure mit einem teuren Facelift, es ist eine Stadt geworden, in der man gerne für ein paar Tage bleibt. Am deutlichsten zeigt sich die Transformation an der Esplanade, der Wasserfront, die schon immer ein Art Herz der Stadt war. Wo noch vor Kurzem in einer Sumpflandschaft zwischen leeren PET-Flaschen und Kaugummipapier Krabben nach Futter suchten, liegt heute eine künstliche Lagune, die gleichzeitig als kostenloses Freibad dient. 4.000 Quadratmeter groß ist die Anlage, mit eigenem Strand, und sogar bemannt mit einem echten „Lifesaver“. Umgeben ist „The Lagoon“ von einer schönen Parkanlage, in der am frühen Morgen Jogger die tropisch-feuchte Luft genießen. Unumstritten war die Lagune nicht. Umweltschützer haben jahrelang verbissen gegen die Pläne gekämpft, wiesen auf die Zerstörung des Ökosystems am Ufer hin. Doch die Befürworter unter den Politikern sahen, dass nur eine umwälzende Veränderung den Ruf von Cairns verbessern kann. Heute ist dieser Disput vergessen. Am Abend verwandelt sich die Esplanade in eine Flaniermeile. Tausende sitzen in den Freiluftrestaurants, beobachten die Szene und werden dabei selbst beobachtet.

Auch in der Innenstadt haben die Planer neue Maßstäbe gesetzt. Zwar dominieren noch immer Touristenläden mit billigen Stoffkoalas und Kängurus das Straßenbild, und am Nachtmarkt werden weiterhin „echte“ Bumerangs verkauft – „made in China“. Doch die Fassaden wirken frischer und freundlicher, Fußgängerzonen geben ein Gefühl von Raum. Die Stadt ist ordentlicher, ohne steril zu wirken.

Spätestens ein paar hundert Meter landeinwärts merkt man, dass Cairns auch für die Australier zu einer gefragten Destination geworden ist. Ein riesiges Einkaufszentrum bietet alles, was die 170.000 Bewohner der täglich wachsenden Vororte der Stadt benötigen. Kaum eine Region in Australien ist in den letzten Jahren derart gewachsen wie Nordqueensland. Immer mehr Südstaatler packen in Melbourne und Sydney ihre Koffer und ziehen in den warmen, tropischen Norden. Entsprechend gestiegen sind die Immobilienpreise in und um Cairns. Nördliche Strandorte wie Trinity Beach und Palm Cove sind Enklaven der Elite geworden. Wo noch vor Kurzem in Strandhäusern mit Wänden aus Presszement Arbeiterfamilien Bier schluckten, genießen die Wohlhabenden auf weitläufigen Balkonen im Schein der untergehenden Sonne Sauvignon Blanc.

Der Boom mag zwar viele „Locals“ verdrängt haben, er hat aber auch zu einer deutlichen Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen geführt. Cairns ist mondän geworden. Viele Südländer – oftmals wohlhabende Frührentner – bringen nicht nur Geld, sondern auch Geschäftserfahrung und Ideen. Restaurants sind heute wesentlich qualitätsbewusster als früher – Ausnahmen allerdings gibt es.

Nirgendwo zeigen sich die Professionalität und der Trend zu mehr Qualität so prominent wie im Tourismus – der mit Abstand wichtigsten Industrie in der Region. In den letzten Jahren hat Cairns eine Wellnessindustrie entwickelt, die es noch vor Kurzem nicht gab. Ob Vichy-Duschen, Thai-Massagen oder Aromatherapie: An den Stränden im Norden stechen sich die Massagesalons in den Luxushotels gegenseitig mit ihrem Angebot aus. Auch sonst ist der Fremdenverkehr in Cairns deutlich kundenbewusster geworden, als das der Fall war. Wenn der Busfahrer sagt, er sei um 7 Uhr im Hotel, dann ist er um 7 Uhr im Hotel. Und schließlich hat die Tourismusindustrie begriffen, dass sie nur eine Zukunft haben kann, wenn sie ihren wichtigsten Aktivposten schützt: das Great Barrier Reef.

Praktisch jeder Besucher von Cairns leistet sich zumindest einen Tag auf dem Riff, der mit über 2.300 Kilometern längsten zusammenhängenden lebenden Struktur auf dem Planeten. Das entspricht der Distanz zwischen London und Athen. Doch die Fauna auf diesem gigantischen natürlichen Wunder ist höchstgradig gefährdet. Forscher glauben, dass die rund 2.900 individuellen Korallenriffe, aus denen sich das Great Barrier Reef zusammensetzt, schon in 50 Jahren dem Klimawandel zum Opfer fallen werden. Die brillanten Farben Dutzender verschiedenen Korallenarten sollen zu einem blassen Grau verkümmern. Gegen diese katastrophale Bedrohung wirkt der potenzielle Schaden, den Besucher anrichten könnten, minimal. Ein Schaden, den es zum Glück kaum mehr gibt. Die Tourismusindustrie hat in Zusammenarbeit mit den Behörden strenge Regeln aufgestellt, was das Verhalten der Gäste angeht. Die verschiedenen Unternehmen, die Fahrten auf das Riff anbieten, halten sich an alle Vorschriften, weil ihnen sonst die Lizenz entzogen würde. Keinem Besucher, ob Schwimmer, Schnorchler oder Taucher, ist es erlaubt, unter Wasser etwas anzufassen. „Nimm Fotos und Erinnerungen mit nach Hause, sonst nichts“, so die Aufforderung. Selbst die schärfsten Kritiker unter den Umweltschützern attestieren der Riff-Industrie ein beispielhaftes Verhalten.

Seit einigen Jahren wirbt Cairns auch verstärkt für den Daintree-Nationalpark, rund zwei Stunden Autofahrt nördlich der Stadt. Der Daintree ist mit 900.000 Hektar einer der größten zusammenhängenden Regenwälder auf dem Globus, und naturgeschichtlich älter als der Amazonas: 110 Millionen Jahre. Allein 150 verschiedene Baumarten gibt es im Daintree. Biologen nennen ihn ein „lebendes Museum“, ein Museum mit viel Potenzial. Biotechnologiefirmen analysieren viele der seltenen, ausschließlich in diesem Teil der Welt vorkommenden Pflanzen in der Hoffnung, Heilmittel gegen bisher unheilbare Krankheiten zu finden, auch gegen Aids und das HI-Virus. Wie für das Barrier Reef gelten auch für den Daintree strenge Verhaltensregeln, was den Besuch angeht.

Reisende, die jetzt fürchten, Cairns habe seinen Imagewechsel übertrieben, sei zu einer reinen Ökodestination geworden, wo Zitronenkrautdüfte aus teuren Massagesalons die Straße füllen, müssen nicht verzweifeln. Das alte Cairns der wippenden Busen und der Trinkgelage gibt es weiterhin – und wird es nach Aussagen der Cairnser auch immer geben. Nicht ohne Grund heißt die Lagune im Volksmund „Shagoon“, eine englische Wortkombination in Anlehnung an das, was dort in heißen Sommernächten getrieben wird.